Ziel erfasst
hatte ihr nämlich ebenso mitgeteilt, dass Ryan persönliche Verbindungen zu den Verbrechern unterhielt, die ihren Klienten gekidnappt hatten. Judy wollte der neuen Regierung nun androhen, diese Beziehungen an die Öffentlichkeit zu bringen, was für den Präsidenten der Vereinigten Staaten gelinde gesagt peinlich wäre.
Sie glaubte, Ryan jetzt am Wickel zu haben. Wahrscheinlich würde er die Sache mit dem Emir deshalb unter den Teppich kehren wollen, indem er sein Wahlversprechen erfüllte und Yasin der Militärgerichtsbarkeit überstellte. Sie hatte jedoch eine Idee, wie sie dies verhindern konnte.
»Guten Morgen, Judy. Sie sehen heute wunderbar aus«, sagte Yasin, als er sich setzte. In seinem anziehenden Lächeln bemerkte sie einen Anflug von Melancholie.
»Danke. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie sich heute etwas niedergeschlagen fühlen.«
»Weil Jack Ryan der nächste Präsident wird? Ja, ich gebe zu, das war eine höchst bedauerliche Nachricht. Wie kann Ihr Land einen solchen Verbrecher wieder an die Macht lassen?«
Judith Cochrane schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Ich versichere Ihnen, dass keiner meiner Freunde oder Mitarbeiter für ihn gestimmt hat.«
»Aber er hat gewonnen?«
Judy zuckte die Achseln. »Ich muss leider zugeben, dass sich ein großer Teil meines Landes in den Händen von Rassisten, Kriegstreibern und ignoranten Narren befindet.«
»Ja. Das muss wohl so sein, da es hier in Amerika keine Gerechtigkeit für einen Unschuldigen gibt«, sagte der Emir mit einem Anflug von Trauer.
»Sagen Sie das nicht. Wir werden Ihnen Gerechtigkeit verschaffen. Ich bin heute hergekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass Ryans Sieg unserer Sache sogar nützen wird.«
Der Emir legte den Kopf schief. »Wie denn das?«
»Weil Ryans Freund John Clark zu den Männern gehört, die Sie entführt haben. Im Moment ist er ein Gesetzesflüchtling. Wenn Kealtys Leute ihn jedoch schnappen, werden sie ihm Stra ff reiheit anbieten, wenn er zugibt, für wen er gearbeitet hat, als Sie gekidnappt wurden. Dann wird Jack Ryan voll mit drinstecken.«
»Woher wissen Sie das?«
»Weil Ryan möglicherweise direkt daran beteiligt war. Und selbst wenn er das nicht war oder von Ihrer Entführung nicht einmal wusste, werden wir ihm durch inoffizielle Kanäle mit unangenehmen Folgen drohen. Wir werden ihm zu verstehen geben, womit er zu rechnen hat, wenn er Sie der Militärgerichtsbarkeit unterstellt. Wir hätten dann keine andere Wahl, als Ihren Fall den Medien zu offenbaren. Dass Ryan diesen Gnadenerlass ausgestellt habe, beweise ja, dass er selbst John Clark angestiftet habe, Unschuldige zu entführen und zu töten. Ryan wird dann vielleicht vor einem ordentlichen Gericht gewinnen, aber vor dem Gericht der öffentlichen Meinung, in dem die große Mehrzahl der Weltmedien auf unserer Seite steht, wird es so aussehen, als hätte Jack Ryan selbst Sie angeschossen und gekidnappt. Er und seine Regierung werden also auf unsere Forderungen eingehen müssen.«
»Und wie lauten unsere Forderungen?«
»Minimale Sicherheitsvorkehrungen. Ein vernünftiges Strafmaß, etwa dass Sie für die Dauer seiner Amtszeit hinter Gittern bleiben, und nicht länger.«
Der Emir lächelte. »Für jemand so Reizendes und Attraktives sind Sie ganz schön gerissen.«
Judy Cochrane wurde rot. »Ich fange gerade erst an, Saif. Merken Sie sich, was ich sage! Entweder gewinnen Sie Ihren Prozess, oder wir werden Präsident Ryan in dessen Verlauf vernichten.«
Jetzt zeigte das Grinsen des Emirs keinen Anflug von Schwermut mehr. »Ist es zu viel gehofft, dass beides geschieht?«
Jetzt musste auch Judy grinsen. »Nein. Das müsste zu schaffen sein.«
Es war zehn Tage her, dass Clark Manfred Kromm in Köln gefunden hatte. Seitdem hatte der gesuchte Amerikaner den Großteil seiner Zeit in Warschau verbracht. Eigentlich hatte es keinen operativen Grund gegeben, so lange in Warschau zu bleiben, aber sein Körper brauchte nach seiner wilden Flucht durch das nächtliche Köln eine gewisse Erholungszeit. Seine rechte Ferse war geschwollen und purpurrot, der Schnitt auf seinem Handrücken musste verheilen, und jedes Gelenk in seinem Körper tat weh. Warschau war also nicht einfach eine Stadt auf seinem Weg von Deutschland nach Estland. Sie war ein höchst notwendiger Boxenstopp.
Clark besorgte sich mit einem gefälschten Ausweis ein Zimmer mit Nasszelle in einem einfachen Hotel im Zentrum. Er füllte die Porzellan-Badewanne mit Epsom-Salz und Wasser, das
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