Ziel erfasst
gearbeitet. Jetzt tat er dies auf eigene Rechnung, erledigte jedoch immer noch ab und zu ein paar Aufträge für den SWR. Kowalenko bat Ruul, seine Kontakte spielen zu lassen, um diesen Kromm aufzuspüren und, wenn er noch lebte, der ganzen Geschichte auf den Grund zu gehen. Ruuls Leute hatten Kromm in Köln gefunden und den alten deutschen Schlossknacker zu einem Treffen bestellt. Nach kurzer Zeit spuckte er dann diese Geschichte aus, die er bisher niemand erzählt hatte. Er konnte sogar John Clark auf einem Foto identifizieren.
Für Ruul war das keine große Sache. Er hatte die Informationen an Walentin Kowalenko weitergeleitet und war dann nach einem heißen, langen Wochenende in Deutschland mit seiner Freundin nach Tallinn zurückgekehrt. Jetzt saß er in seinem Stammlokal, einem Nachtklub, und beobachtete die westlichen Touristinnen auf der Tanzfläche.
Ruul gehörte der Klub Hypnotek sogar, ein angesagter Techno-Schuppen mit angeschlossener Bar am Vana Turg, dem Alten Markt. An den meisten Abenden kam er so gegen dreiundzwanzig Uhr und bewegte sich meist nie sehr weit von seinem »Thron«, einem Ecksofa, weg, wo er von zwei bewaffneten Leibwächtern flankiert wurde. Nur ab und zu ging er allein in sein Büro hinauf, um seine Buchführung zu erledigen oder eine Zeit lang im Internet zu surfen.
Heute verspürte er gegen Mitternacht ein menschliches Bedürfnis und ging ohne seine Leibwächter die Wendeltreppe in seinen Privatbereich im ersten Stock hinauf, wo neben seinem Büro auch eine winzige Privattoilette untergebracht war.
Er pinkelte, betätigte die Spülung, zog den Reißverschluss zu, drehte sich um – und schaute in die Mündung einer Pistole.
»Was zum Teufel …«
»Erkennen Sie mich?«
Ruul starrte nur den Schalldämpfer an.
»Ich habe Sie etwas gefragt.«
»Halten Sie bitte die Pistole tiefer, damit ich Sie sehen kann«, sagte Ruul mit einem Zittern in der Stimme.
John Clark richtete seine Waffe auf das Herz des Mannes. »Ist es so besser?«
»Ja. Sie sind der Amerikaner John Clark, nach dem jeder in Ihrem Land sucht.«
»Ich bin überrascht, dass Sie mich nicht erwartet haben.« Clark warf einen schnellen Blick auf die Tür zur Wendeltreppe. »Sie haben mich doch nicht erwartet, oder?«
Ruul zuckte die Achseln. »Warum hätte ich Sie erwarten sollen?«
»Es ist doch in allen Nachrichten gewesen, dass ich in Köln war. Das hat Sie nicht darauf gebracht, dass ich nach Kromm gesucht haben könnte?«
»Kromm ist tot.«
Das hatte Clark nicht gewusst. »Haben Sie ihn umgebracht?«
Ruul schüttelte den Kopf auf eine Weise, dass ihm Clark glaubte. »Sie haben mir erzählt, er sei gestorben, bevor Sie mit ihm hätten sprechen können.«
»Wer hat Ihnen das erzählt?«
»Leute, die mir mehr Angst machen als Sie, Amerikaner.«
»Dann kennen Sie mich nicht.« Clark spannte den Hahn seiner Fünfundvierziger.
Ruul runzelte die Stirn, fragte jedoch: »Stehen wir noch länger hier in der Toilette herum?«
Clark ging ein Stück zurück und ließ den Mann in sein Büro gehen. Dabei richtete er seine Waffe jedoch die ganze Zeit auf Ruuls Brust. Ruul fuhr sich mit den Händen durch seine blonden, abstehenden Haare und schaute dabei auf das Fenster zur Feuerleiter. »Sind Sie durch mein Fenster gekommen? Zwei Stockwerke hoch? Sie brauchen einen Schaukelstuhl, alter Mann. Sie benehmen sich wie ein Kind.«
»Wenn die Ihnen erzählt haben, dass ich nichts von Kromm erfahren habe, benutzen die Sie wahrscheinlich als Köder. Ich schätze mal, dass die Sie beobachtet und darauf gewartet haben, dass ich hier auftauche.«
Daran hatte Ruul nicht gedacht. John erkannte in dessen Auge einen Hoffnungsschimmer, als ob er auf jemand warten würde, der ihm zu Hilfe kam.
»Und wenn sie Kromm umgebracht haben, werden sie keine Probleme haben, auch Sie zu töten.«
John konnte verfolgen, wie diese Erkenntnis den estnischen Mafioso beschäftigte. Trotzdem wurde er nicht so leicht mürbe.
»Also, noch einmal … Wer hat Sie zu Kromm geschickt?«
» Kepi oma ema, alter Mann«, sagte Ruul.
»Das hörte sich wie eine Art Fluch an. War das ein Fluch?«
»Es bedeutet … ›Fick deine Mutter‹.«
»Sehr nett.« Clark richtete seine Waffe wieder auf die Stirn des Esten.
»Wenn Sie mich erschießen, haben Sie keine Chance. Ich habe zehn Bewaffnete in diesem Gebäude. Ein Knall Ihrer Pistole, und sie kommen und töten Sie. Und wenn Sie recht damit haben, dass noch mehr Männer kommen werden, dann sollten Sie über
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