Zielstern Beteigeuze
das Problem zuerst vor die Menschheit, lange bevor es als Begleitproblem jeder Form von organischer Entwicklung erkannt wurde. Und für Hirosh, der seinen Namen nicht ohne Bezug gewählt hatte, war es mit starken Gefühlen verbunden: Noch sein Großvater hatte, dreißig Generationen danach, unter den Folgen der ersten Atombombe zu leiden. Auch das also ein Grund, daß er bisher wie die meisten nur die explosive Form gesehen
hatte. Hier dagegen, bei diesen merkwürdigen
Gravitationsschwankungen, von denen man noch nicht wußte, ob sie häufig oder selten oder gar nur einmal auftraten, war eine schleichende Katastrophe wenigstens denkbar. Oder?
Ach, was sollte das Grübeln - er würde Elber bei seinem Memo unterstützen, schon weil die Planetologen meist zu kurz kamen; wurden sie doch häufig nur sozusagen auf Verdacht mitgenommen für den Fall, daß man auf einen aufsehenerregenden Planeten stieß, und nur selten mit einer eigenen Zielstellung. Ein alter Koch konnte mit seiner Rolle schon zufrieden sein, wenn er seine Leute richtig bediente; aber bei einem jungen Planetologen wie Elber, da sah die Sache noch etwas anders aus, der fühlte sich noch auf der Startrampe. Na bitte, geben wir ihm also Starthilfe!
„Kommt nicht in Frage!“ sagte Atacama heftig.
„Warum so aufgebracht?“ fragte Kiliman ruhig. „Ich habe mir ja schließlich etwas dabei gedacht, als ich dir Elbers Memo vorgelegt habe.“
„Was du dir gedacht hast, weiß ich. Aber ich möchte wissen, was die auf der Basis sich gedacht haben - in allen ihren Aufgaben hinken sie hinterher, aber zum Phantasieren, dazu reicht die Zeit! Wenn einer kommt und sagt: Alles erledigt, ich habe jetzt drei Stunden Zeit, kann ich ein bißchen Spazierengehen und mir den Planeten angucken, sag ich Bitteschön - und bring auf dem Rückweg ein paar Blumen mit, wenn’s da welche gibt. Aber erst mal muß doch das garantiert sein, was für die Existenz der Expedition und den Rückflug entscheidend ist. Nein, für mich ist das hier eine Zumutung. Und noch etwas: Ein vernünftiger CB, der was auf sich hält, der hätte dieses Memo nicht weitergereicht, bevor seine Arbeiten im Zeitplan liegen.“
„Und was habe ich gedacht?“
„Was soll das!“ entgegnete Atacama kurz.
„Du hast doch gesagt, du weißt, was ich gedacht habe. Was habe ich also gedacht?“ Kiliman war immer noch ruhig, verbindlich lächelnd.
„Na gut, wenn du unbedingt willst“, die CE versuchte auf ihn einzugehen, „zuerst hast du gedacht wie ich. Gib zu, daß du dich geärgert hast!“
„Ein bißchen“, gab Kiliman zu.
„Na also. Und dann hast du dir gedacht, es wird nicht falsch sein, wenn Atacama merkt, daß auch andere Leute Köpfe haben, voll von Absichten, Wünschen, Gedanken und Phantasien. Denn Ata, so hast du gedacht, übersieht das leicht. Wenn sie ein Ziel im Auge hat, so hast du gedacht, beurteilt sie alles nur unter dem Gesichtspunkt, ob es diesem Ziel förderlich ist oder nicht. Und hier, hast du gedacht, bietet sich die Gelegenheit, eine Bremse anzubringen für künftige Fälle, nein, noch nicht zu betätigen, nur erst anzubringen. Hast du das nicht alles gedacht?“
Kiliman schüttelte besorgt den Kopf. „Sicher habe ich das alles gedacht, das ist ja meine Aufgabe. Ich habe auch noch manches andere gedacht, zum Beispiel, daß deine Haltung richtig ist. Im wesentlichen richtig. Noch.“
„Was heißt ‘noch’?“ fragte Atacama beunruhigt.
„Sollte dir in deinem Ärger wirklich entgangen sein“, fragte Kiliman ernst, „daß hier vielleicht eine moralische Entscheidung heranreift? Wenn hier tatsächlich eine Gesellschaft wirken oder gewirkt haben sollte, müssen wir unser Programm ändern, aus erkenntnisethischen Gründen. Gesellschaftswissen geht vor Naturwissen.“
„Na hör mal, du nimmst doch diese Phantasieargumentation nicht etwa ernst?“ fragte Atacama entsetzt.
„Nein, Elbers Argumente nicht“, sagte Kiliman nachdenklich, „aber seine Phantasie.“
3
Verdrossen stieg Woleg in die Basisfähre, um den ortsfesten Verbindungssatelliten und danach gleich den ersten von drei Beobachtungssatelliten auf ihre Umlaufbahnen zu bringen. Sonst war das immer ein kleines Fest, ein Höhepunkt im Alltag der Basisarbeiten. Und gerade in diesem Fall hätte es sogar ein großes Fest sein können. Immerhin war es keine Kleinigkeit gewesen, trotz der Zerstörungen den Termin zu halten. Denn nur die Meß- und Funkgeräte waren den Beständen der Basistechnik entnommen, also
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