Ziemlich beste Freunde
Professor Slama rät dringend dazu, einen Cavaclip 14 einzusetzen.
Nachdem wir das Risiko einer tödlichen Embolie und das Restrisiko von Folgeschäden der Operation abgewogen haben, entscheiden wir uns für den chirurgischen Eingriff.
Sie versprechen, dass die Herzoperation nur eine kleine Narbe hinterlassen wird. Doch Béa wird nie wieder im Bikini baden: Die Narbe beginnt in der Mitte des Brustbeins und verläuft in einem großen Bogen bis kurz oberhalb der rechten Pobacke. Dieses lange violette Mal wird sie zeit ihres Lebens tragen. Bis zum Schluss bin ich der Einzige, der ihr Geheimnis kennt.
Als sie schließlich aus dem OP-Trakt geschoben wird, sind ihre Augen geschlossen. Ich halte ihre Hand. Wir haben gewonnen …
Jahre des Leidens.
*
Laetitia ist vier. Wir verbringen die Ferien zusammen mit meinen Cousins auf Korsika, auf einem riesigen Segelboot.
Nur die täglichen sechs Tabletten der Chemotherapie erinnern uns an Béas Krankheit.
An diesem Tag badet sie zusammen mit ihrer Tochter im Meer. Die beiden lachen und spritzen sich gegenseitig nass. Béatrice sieht blendend aus. Als sie sich den Knöchel an einem Felsen anschlägt, entfährt ihr nur ein kleiner Schmerzenslaut, sie klettert aufs Boot zurück, um den Kratzer zu säubern. Die Wunde wird nie vernarben – eine »Nebenwirkung«, die man uns verheimlicht hat.
Béas Krebs lässt ihr Blut eindicken, die Chemotherapie verflüssigt es. Über ihrem rechten Knöchel bildet sich ein nekrotisches Geschwür, dann auch über ihrem linken. Der Krebs sollte uns eigentlich mehr beschäftigen. Doch es sind diese scheußlichen Geschwüre, die sich im Verlauf ihrer Krankheit für Béatrice zu einem Trauma auswachsen. In Paris verbringt sie durchschnittlich das halbe Jahr im Krankenhaus. Ihre Eltern sind praktisch ständig an ihrer Seite, doch ich versuche so oft wie möglich, sie zu vertreten, auch wenn es bis an den Rand meiner Kräfte geht. Nach wie vor hat sie ein Lächeln für mich, wenn ich auftauche. Ich bringe ihr Kassetten mit, auf denen ich Laetitia aufgenommen habe, all die Briefe, die zu beantworten wir uns vorgenommen haben, und die Neuigkeiten von draußen.
Ihre Mutter, selbst Ärztin, ist entsetzt angesichts der verschiedenen Versuche seitens der Ärzte, die Geschwüre zu »behandeln«. Es ist das reinste Gemetzel.
Béa weint vor Schmerz.
*
Diese Bilder überfluten mein Gedächtnis, gelb gefärbt vom Nikotin. Der Zigarettenrauch steigt mir wieder in die geröteten Augen. Jetzt fallen mir die Verzweiflung und die Hilflosigkeit wieder ein, die ich damals angesichts des Ganzen empfand. Die Wut hingegen habe ich vergessen – dafür sorgen Béatrices Abwesenheit und mein kaputter Körper.
*
Professor Fiessinger macht schließlich Béas Martyrium ein Ende. Er entlässt sie zur weiteren Pflege nach Hause und empfiehlt ihr eine konservative Behandlung. Die besteht darin, die Geschwüre täglich so lange mit einem Skalpell abzuschaben, bis sie bluten – das muss sein, damit sich wieder neue Zellen bilden. Ich bin bei der Prozedur morgens und abends zugegen, aber die Skalpelle kann ich einfach nicht ertragen. Ich nähere mein Gesicht dem ihren und trockne ihre Tränen.
Wie oft hat sie mich bis aufs Blut gebissen, während dieses Gemetzel vor sich ging? Ein paar Minuten später ist alles vergessen, sie ist zu Hause, bei ihrer Familie. Dieser Professor hat sie wieder ins Leben entlassen.
Von nun an muss ich sie beschützen.
14 Clip, der auf die untere Hohlvene aufgesetzt wird, um aufsteigende Blutgerinnsel abzufangen.
La Pitance
Das Unternehmen Moët et Chandon bietet mir einen komfortablen Posten in der Champagne an.
Wir brechen auf nach La Pitance. Das herrliche Anwesen grenzt an die ehemalige Benediktinerabtei von Hautvillers aus dem 7. Jahrhundert und ist von einem blühenden Park umgeben. Im Dunst der Weinberge, in denen unermüdlich gearbeitet wird, erstreckt es sich bis hinunter zur Marne. Im Sonnenlicht werfen die Stangen in den Weinbergen Schatten wie eine ins Unendliche vervielfachte Sonnenuhr.
Ich verkörpere die elfte Generation der Gründerfamilie. Die zwölfte, ein Baby, das wir Robert-Jean nennen, stößt zu uns, kaum dass wir in der Champagne eingetroffen sind. Diesmal reist Laetitia mit nach Bogotá. Das Elend der Kinder ihres Alters, die in Lumpen auf den Straßen betteln, prägt sich ihr unauslöschlich ein.
*
Wir verbringen elf Jahre in der Champagne. Béatrice ist die
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