Ziemlich beste Freunde
Sachen aus dem Krankenhaus, darunter finden sich Aufzeichnungen und Briefe.
Sie hat Tagebuch geführt.
Aus all ihren Schilderungen sprechen ihre Sanftmut, ihre Liebe zu uns, ihr Gottvertrauen, der Glauben an ihre Heilung. Sie war fest entschlossen, am Leben zu bleiben, bis ihr kleiner Robert-Jean achtzehn würde. Als sie spürte, dass das Ende nahte, gab ihr dieselbe gelassene Zuversicht die Kraft, mir zu verzeihen, Laetitia ein paar Worte mit auf den Weg zu geben und Robert-Jean zu trösten.
Dann wandte sie sich Gott zu.
*
Ich habe den schönsten Sarg ausgewählt und ihn mit einem protestantischen Kreuz versehen lassen. Die Trauerfeier soll in der Kirche stattfinden und die Totenmesse in Dangu. Die Kinder sind großartig, sie lesen das Gebet des heiligen Augustinus, das Béa ihnen oft mit so sanfter Stimme vortrug, dass sie das Pathos gar nicht bemerkten. Sie sahen ihre Tränen nicht. Schlafend brachte ich sie zu Bett.
*
Bei der Beisetzung in der Kirche von Dangu stimmen unsere Freunde Nicolas und Sophie das Lied an, das Béatrice so liebte. Ich versinke tief in meinem Stuhl. Robert-Jean hält meine Hand, er weint. Laetitia hat ihm den Arm um die Schulter gelegt. Auf Béatrices Sarg liegen zarte, rosarote Stiefmütterchen, die ein Freund geschickt hat. Der Boden ist mit Tausenden weißer Blüten übersät. »Trockne deine Tränen und weine nicht, wenn du mich liebst.«
Béatrice, die du bist im Himmel …
*
Wir fahren in Dangu an dem Hügel vorbei, auf dessen Kuppe Béatrice begraben liegt. Ich komme nur mit Abdels Hilfe hinauf und habe immer das Gefühl, mich unter ihrem Grab zu befinden. Als könnte ich nur an sie heranreichen, wenn ich die Arme hochrecke.
Seit sie uns verlassen hat – es ist nun schon über ein Jahr her –, fällt es mir schwer, sie mir zu vergegenwärtigen. Nachts rede ich nicht mit ihr, sondern monologisiere über sie. In meinen schlaflosen Nächten schließt sie mich nicht in ihre Arme. Ich spüre, wie sie direkt über mir schwebt. Ihr Paradies muss ganz nah sein. Wie der Rauch einer Zigarette strömt sie von mir aus und löst sich ganz dicht bei mir auf.
Sie hat noch nicht gesprochen. Sie erscheint mir noch immer so wie in ihren letzten Tagen, reglos und still, nur ihr Brustkorb hebt und senkt sich kaum merklich im Rhythmus ihres rauen Atems.
Wenn ich von ihr sprechen will, schnürt sich mir die Kehle zu. Ich bekomme keinen Ton heraus, da ist nur ein Brennen hinter den Augen …
Vielleicht ist sie ja zu traurig, um mit mir zu sprechen?
Manchmal bringt mich Abdel zum Friedhof hinauf. Er schiebt mich über das unwegsame Gelände. Die Namen auf den Grabsteinen verblassen allmählich. Goldgeprägte, glänzende Marmortafeln beherbergen die Neuankömmlinge. Béatrice ist die Erste in der Familie, die auf dem Festland begraben ist. Ich wollte sie bis zu meinem Tod in unserer Nähe haben, danach soll sie mit mir zusammen nach Korsika überführt werden. Dort, in der Kapelle, sind weniger Menschen, Geräusche beleben die Nacht, der Duft der Macchia liegt in der Luft, der Blick ist so schön.
Laetitia hat ein Familientreffen auf dem Friedhof organisiert, alle sind erschienen. Die Kinder haben sich um Béatrices Grab versammelt. Die zehnjährige Valentine ist die Einzige, die nicht weint. Unbeirrbar stellt sie immer wieder die Blumentöpfe auf, die der Wind umbläst.
Wenn ich komme und meinen Platz vor ihrem Grab bezogen habe, ist Béatrices Anwesenheit vage zu spüren. Ich nehme sie im sanften Rauschen der Zypressen wahr. Sie verschwindet, wenn ich den Hügel wieder hinunterrolle. In die neue Wohnung folgt sie mir nicht.
Ein einziges Mal habe ich sie seither lachen gehört: als eine junge Frau mich küsste. Wenn wir allein waren und uns aneinanderschmiegten, hatte sie ein fröhliches Kinderlachen. Dann vergaß sie ihren Körper und entfloh zusammen mit mir wie ein verhätscheltes kleines Mädchen. In der Anspannung der letzten Monate habe ich dieses Lachen ganz vergessen.
Ihr Blick hat sich gen Himmel gerichtet und ich bin ihr gefolgt.
Sie betete stundenlang. Ich versuche, in diesem Blick aufzugehen. Noch einmal erlebe ich diese unerhört heiteren Augenblicke. Sie betete, als würde es sie von all ihrem Leid befreien. Ihre Freude ist wie ein Gebet für uns. Sie zieht mich hinan. Es gibt Ihn, weil sie bei Ihm ist.
Meine Gefühle sind ein Schattenspiel: Es bleiben nur ihre Schmerzen, die ich zu meinen gemacht habe, und die
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