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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde

Titel: Ziemlich beste Freunde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Phillipe Pozzo di Borgo
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noch dieser ultimative Affront: Der Mann, den sie liebt, bricht sich das Genick. Sie hätte sich eine freundlichere Welt für ihre letzten Stunden gewünscht. Von einer schmerzerfüllten Liebenden wurde sie zu einer Pietà, in den Armen die Last eines zerstörten Körpers. Durch sie, die Gekreuzigte, bin ich wieder auferstanden. Was für eine Ironie. Sie liegt unter ihrem Lächeln begraben. Und ich flog in alle Richtungen davon, um ihren blutenden Beinen zu entkommen, ihrem kranken Blut, ihrer Anstrengung, die mich beschämte. Ich segelte auf unseren Leben dahin. Immer kehrte ich zurück und schloss sie auf ihrem riesigen Bett in die Arme. Bitteres Lächeln für eine Schönheit, die ihre Tränen so gut zu verbergen wusste, die seit Jahren tiefes Mitleid verdiente.
     
    *
     
    Ich beschloss, nach Crest-Voland zurückzukehren, an den Ort, an dem ich abgestürzt war, und im Rollstuhl erneut zu fliegen, wie um den Unfall zu exorzieren. Eine Kinderei! Diese fliegenden Verrückten, die Béa nicht besonders schätzte, sind meine wahren Freunde. Sie haben Schuldgefühle, ich will sie davon befreien. Ich sehne mich danach, in der Thermik aufzusteigen, die mich auf fünf- oder sechstausend Meter Höhe bringt. Da oben möchte ich laut mit meiner Frau sprechen, wie ich es nachts gelegentlich tue. Vor der prachtvollen Kulisse der Berge werde ich den Eindruck haben, ihr näher zu sein. Manchmal habe ich das seltsame Gefühl, dass ich zu ihr möchte, genauso wie ich nach dem Unfall in Versuchung geraten bin, sie zu verlassen. Es ist irrational und kindisch.
    Ich erfreue mich auch an der Vorstellung, Abdel im Tandem fliegen zu sehen, während er die ganze Zeit brüllt, dass er nie fliegen wollte.
     
    *
     
    Meine Freunde besorgen mir einen Spezialsitz, der sich aufbläst, wenn das Segel sich mit Luft füllt, das soll die Landung dämpfen. Yves, der im Gurtzeug hinter mir ist, steuert. Wir vereinbaren, dass er die Anweisungen befolgt, die ich ihm mittels Kopfbewegungen gebe. Kopf nach links – er dreht sich im angegebenen Winkel; Kopf nach unten – er bremst; Kopf nach oben – er lässt die Bremsleinen los. Wir fliegen dreimal. Beim Start trägt uns die ganze Mannschaft, so dass wir genügend Geschwindigkeit aufnehmen. Durch ein leichtes Senken des Kopfes gebe ich Yves zu verstehen, dass er an den Bremsleinen ziehen soll, um abzuheben.
     
    Da ist es wieder, das Gefühl zu fliegen – es ist im Kopf konzentriert, im Rest spüre ich nichts. Wir fliegen unsere üblichen Strecken. Irgendwann brüllt Yves mir zu, es sei riskant, was ich da mache: Wir seien zu nah am Wald. Doch ich weiß, dass es dicht über den Baumwipfeln genügend kleine Thermikblasen gibt, um in der Luft zu bleiben. In wenigen Hundert Metern können wir wieder zum Gebirgskamm aufsteigen, von wo aus das ganze Tal von Albertville uns zu Füßen liegt. Yves zögert, aber ich gebe ihm zu verstehen, dass er meine Anweisungen befolgen muss. Plötzlich steigen wir steil auf, Hunderte von Metern in wenigen Sekunden. Über dem Gipfel ziehen wir unsere Kreise. Ein herrliches Schauspiel! Wir versuchen, an Höhe zu gewinnen, doch die Wetterbedingungen lassen es nicht zu. Also tauchen wir wieder in Richtung Wald ab, folgen den Vögeln, verfolgen andere Gleitschirmflieger. Wir könnten eine Ewigkeit oben bleiben, doch Yves sagt, es sei Zeit zu landen. Wir fliegen schon über anderthalb Stunden. Ich verspüre keinerlei Müdigkeit. Eine Wiedergeburt. Wir sausen an der letzten Felsspitze vorbei und auf die Almhütte zu. Um der alten Zeiten willen lenke ich Yves zum Hügel über der Hütte und bitte ihn, im Tiefflug zu fliegen. Knapp drei Meter über dem Boden fliegen wir Schlangenlinien. Herrlich! Yves fliegt den Landeplatz an, wir haben Gegenwind. Als wir aufsetzen, dreht der Wind plötzlich. Bei über vierzig Stundenkilometern wirft es uns um. Ich habe keine Beine, mit denen ich ihm helfen könnte, und wir krachen zu Boden. Mein Gesicht fungiert dabei als Bremse. Nach mehreren Dutzend Metern, in denen wir den Boden umpflügen, kommen wir endlich zum Stehen und brechen in Gelächter aus. Alle Freunde, die gekommen sind, um sich das Schauspiel anzusehen, lachen mit.
    Mein Gesicht ist blutüberströmt, mehrere Wochen lang trägt es die Spuren dieser Landung, doch ich bin unendlich froh!
    Zurück in Paris, behaupte ich, es sei ein Rollstuhlunfall gewesen. Außer Laetitia ahnt niemand etwas von meiner Verantwortungslosigkeit.

Korsische Seele
    Nur wenige Monate nach Béatrices Tod

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