Ziemlich beste Freunde
Leerstellen, die sie hinterlassen hat.
Manchmal vergrabe ich mich wochenlang in meinem Bett, lasse die anderen im Stich – bis ich Robert-Jean neben mir höre; Laetitia, die versucht, mir etwas zu trinken einzuflößen; Abdel, der es sich in meinem Rollstuhl bequem gemacht hat und wartet. Sie holen mich auf die Erde zurück.
Mich überrascht die Leichtigkeit, mit der ich zurückkehre. Ich höre mich lachen, bin stolz auf meine Kinder. Doch ich werde mich ohne Angst, vielleicht sogar erleichtert zu Béatrice gesellen. Es gibt schreckliche Momente – dann will ich davonschweben, doch die anderen halten mich zurück. Ich weiß nicht mehr, welche Richtung ich einschlagen soll. Vielleicht sorgen ja mit der Zeit meine Kinder, die Kinder meiner Kinder, eine Frau … dafür, dass ich in diesem Schaukelstuhl zur Ruhe komme.
*
Béa ist gegangen. Laetitia und Robert-Jean sind noch da. Es ging uns gut, zu viert.
In den Momenten, in denen ich schrecklich leide, ist mir, als würden alle Dämme brechen, als würde mir der Kopf platzen: Die Augen haben sich bereits weggedreht, der Körper ist steif, ich habe schon lange aufgehört zu sprechen. In meiner Verzweiflung verschwinde ich im Unbewussten, nur noch von einem Gedanken besessen: unserer geliebten Kinder wegen dieses eine Mal noch durchzuhalten.
An dem Tag, an dem Béas Mutter mir mitteilte, dass nichts mehr zu machen sei, gar nichts, ganz egal, was die Ärzte sagten, fühlte ich mich in meinem Bett zum ersten Mal allein. Nichts ist mehr von Béatrices wunderbarer Präsenz übrig, nichts als ein ständiger Schmerz hinten in der Kehle. Nichts mehr übrig von dem Mann der Tat – er ist nicht an der Behinderung zerbrochen, sondern an Béatrices Abwesenheit. Nur die Sorge um unsere Kinder bleibt bestehen. Ich liege nur noch im Bett. Das Haus verkommt. Céline, das Au-Pair-Mädchen, rührt keinen Finger mehr, ich lasse mich gehen. Wir drei bekommen nur noch wenig Besuch. Die Schwiegereltern natürlich, meine Schwägerin Anne-Marie, ein paar alte Freundinnen, die sich unter der Last von so viel Trauer nur mühsam aufrecht halten.
Der Rest der Familie hält sich zurück, betäubt von unserem Schweigen und ihrer eigenen Scheu. Die einzigen Geräusche, die man hört, sind die der Kinder. Außerdem, um zehn nach neun, der tägliche Anruf von Tante Éliane, geistreich und voll Mitgefühl; Abdels Radau; die morgendliche Betriebsamkeit der Pflegerinnen – wobei ich bei manchen gar nicht erst die Augen aufmache – und Sabrya, natürlich.
Ich liebe Béatrice. Nach und nach lese ich ihren Leidensbericht. Mit Ausnahme einiger Entwürfe von Briefen, die sie mir schrieb, wenn ich lange im Ausland war, sind diese Aufzeichnungen ihres Leids die einzige Hinterlassenschaft. Beinahe fünfundzwanzig Jahre unseres Lebens haben wir zusammen verbracht, ein unglaubliches, unverschämtes Glück, das wir unschuldig und strahlend genossen. Und nun ist davon nichts mehr übrig als diese wenigen niederschmetternden Seiten voller Einsamkeit und Zweifel.
Als ihre Mutter starb, hat Laetitia diese Aufzeichnungen gelesen und war tief erschüttert. Ich fand die mühsam niedergeschriebenen Schreckensnotizen auf losen Blättern und in zwei dünnen Heften, einem grünen und einem roten. Wenn ich sie nur niemals gesehen hätte. Sie rahmen unser Glück schwarz ein.
*
Wenn ich eine ihrer »Trauernachrichten« lese, kann ich tagelang nicht aufstehen. Mein Stolz verblendete mich, ich hatte keine Ahnung. Nun kann ich kaum noch an etwas anderes denken. Tagsüber lasse ich mir ihre Notizen ans Tablett über meinem Bett kleben, nachts ist es mir unerträglich, sie auf dem kleinen Nachttisch neben mir zu wissen. Ich möchte mich auf die andere Seite drehen, dorthin, wo Béatrice schlief, doch nur mein Kopf rollt nach links, damit die Tränen abfließen können.
Ihre Aufzeichnungen sind nie genau datiert. Alles in allem füllen sie gerade mal zwanzig Seiten. Jedes einzelne Wort ist ein Schrei der Verzweiflung. Manche Passagen rufen mir Erlebnisse in Erinnerung, die mir entfallen waren. Sie geben die Zerrissenheit einer Frau wieder, deren Schönheit nur Fehlgeburten und Totgeburten hervorbringen konnte; die nagende Sorge einer von einem unsichtbaren Krebs gequälten Frau, die so schön war in den Augen aller, jedoch wusste, dass sie von innen zerfressen wird; die Erschöpfung eines Menschen, der so viel wollte, aber nicht konnte. Und dann, als sie schon am Ende ihrer Kräfte war, auch
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