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Zigeuner

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Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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schwieligen Hände an. Schau nur, ich habe kräftige Arme. Damit arbeite ich. Trotzdem sind wir bettelarm. Weil wir ehrliche Spoitori sind. Die Ursari, die stehlen alles. Erst vor zwei Jahren sind sie hier eingebrochen und haben uns das ganze Haus leergeräumt. Hör mir auf mit denen. Die bringen sogar ihre Kinder um. Lange vor der Geburt machen die Frauen sie weg. Das würde ein Spoitori niemals machen. Niemals.«
    Drei Monate später. Der Winter war eingebrochen. Kalter Regen peitschte über die Walachei. Sie zeigte sich noch trostloser als bei unserem ersten Besuch im September. Die Menschen wirkten noch lethargischer. Noch immer säumten die endlosen Maisfelder unseren Weg. Die Stauden faulten vor sich hin. Niemand hatte sie abgeerntet. Nur die vielen Blumensträuße für Cristian Melinte auf der Plaza von Bolintin Vale waren frisch.
    Wir fuhren zum Haus des Bulibascha Jon Bucur. Nichts hatte sich seit dem Spätsommer geändert, nur das Hoftor war mit schweren Kettenschlössern verriegelt, als hätte es in der Ruine noch etwas zu entwenden gegeben. Nach langem Rufen öffnete sich eine Stalltür. Heraus trat Margarete Bucur, die Schwester des Bulibascha. Sie erzählte:
    »Mein Mann, mein Bruder und die Kinder sind alle wieder in Bukarest. Sie suchen Arbeit. Hier war nichts mehr zu machen. Die Kinder hatten keine Kleider, sie mussten frieren, weil wir kein Material haben, das Haus zu reparieren. Geld vom Bürgermeister oder der Polizei? Fragen Sie selbst. Versprochen haben sie viel. Schauen Sie doch das Haus an. Nichts ist passiert.«
    Erneute Nachfrage im Polizeirevier von Bolintin Deal. Wir läuteten Sturm. Als niemand öffnete, betraten wir den Hausflur. Aus einem der Räume drang Stimmengewirr. Wir klopften an und traten ein. Ein Dutzend Polizeibeamte hatte sich um einen Fernseher geschart und schaute einem Handballspiel der rumänischen Nationalmannschaft zu. Unter den Polizisten war auch Vasile Lepadatescu.
    »Heute werden keine Auskünfte gegeben. Sie können mich morgen früh sprechen.«
    Am nächsten Vormittag erfuhren wir von anderen Polizisten: »Kollege Lepadatescu hat heute seinen freien Tag.«
    Und morgen?
    »Morgen auch.«
    Die Lehrerin Anghel Neluta betreute die Internatskinder der Oberschule von Bolintin. Bereits im Sommer hatten wir sie kennengelernt, als sie uns in der Schule ein leerstehendes Zimmer zur Übernachtung angeboten hatte. Sie freute sich über unseren Besuch, besonders an diesem Sonntag, ihrem einunddreißigsten Geburtstag. In ihrer winzigen Ein-Zimmer-Wohnung erzählte sie:
    »Ich habe schon versucht, in einer anderen Stadt eine Stellung zu finden, denn hier möchte ich nicht mehr leben. Ich komme mit den Menschen einfach nicht zurecht. Sicher verstehe ich manche Eltern. Sie haben sich oft bei mir beklagt, dass den Kindern in der Schule von den Zigeunern so viel gestohlen wird. Aber nicht von den Kindern der Ursari. Deren Eltern haben sich doch immer geweigert, ihre Kinder überhaupt zur Schule zu schicken.
    Was an Ostern geschah, das war ein abgekartetes Spiel, ein misslungenes Szenario. Den Zigeunern wäre nichts geschehen. Es ist ja auch nachts nach dem Mord erst einmal nichts passiert. Und wissen Sie warum? Die Ursari standen mit den Polizisten aus Bolintin in bestem Einvernehmen. Die haben der Polizei hohe Schutzgelder bezahlt. Die Ausschreitungen am Sonntag kamen doch nur zustande, weil nach dem Mord so viele Polizisten aus Bukarest anrückten. Die haben von den Zigeunern kein Geld bekommen. Und ohne Geld kein Schutz.«
    Am Abend wurde Geburtstag gefeiert. Mit viel Liebe hatten die Schülerinnen und Schüler der ältesten Klasse ihrer Lehrerin zu Ehren ein Klassenzimmer geschmückt. Es gab Wein, süßen Likör und kaltes Buffet. Wir wurden eingeladen zu Essen, Trinken und Tanz. Ein schönes Fest, auch wenn Tina Turner aus dem Kassettenrekorder ein wenig eierte. Kurz vor Mitternacht nahm die Feier ein jähes Ende. Ein dumpfer Knall schallte durch das Schulgebäude. Die Eingangstür wurde aufgebrochen, die Sicherheitskette mit einem Bolzenschneider geknackt, Scheiben klirrten. Fünf Polizisten stürmten den Festsaal. Frau Neluta wurde verhaftet und abgeführt. Am nächsten Morgen ließ man sie wieder frei.
    »Die Polizei hat mich verhört. Die wollten wissen, wen ich hier übernachten lasse. Diese Methoden kennt man in Rumänien ja. Um mich braucht ihr euch keine Sorgen zu machen. Ein halbes Jahr noch, dann bin ich hier weg.«
    Wir wollten auch weg aus Bolintin und

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