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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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Schrauben fest genug angezogen waren.« Auch heute werden in der Deac-Straße wieder Arbeitskräfte eingesammelt. Dieses Mal zu kapitalistischen Konditionen. In den Sommermonaten taucht um vier in der Früh ein Chef auf, der täglich zwischen vierzig und fünfzig Erwachsene anheuert. Die werden in die landwirtschaftlichen Betriebe nach Kartal gekarrt. »Wir ernten Erdbeeren. Und Erbsen«, erzählten Picaczs Ehefrau Margid und Tochter Magdolna. »Drei bis vier Stunden arbeiten wir auf den Feldern. Danach brennt die Sonne zu heiß.« Fünfzig Forint erhalten die Pflücker für ein Kilo Erbsen. Am Ende zahlt der Subunternehmer den Frauen im Schnitt eintausend Forint aus. Das ist ein Stundenlohn von unter einem Euro. »Eigentlich verdienen wir mehr«, meinten die Frauen. »Aber der Chef zieht uns das Geld für den Transport ab.« Ein Gadsche? »Nein, ein Zigan.«

KAPITEL 8
    Plädoyer für einen ehrenwerten Begriff
    Zigeuner, die keine Roma, und Roma, die keine Zigeuner sein wollen – Ordnungsrufe im Parlament und ein irritierender Brief – Der Antiziganismus und seine Kritiker – Das »Z-Wort« oder wie ein Zigeunermädchen zur wilden Jo mutierte – Ein grotesker Streit um ein Denkmal – Historiker und die Sprache der Mörder – Zigeuner: eine Kategorie im »Land der Täter«?
    Als in dem Karpatenweiler Roşia die erste rumänische Alternativschule für Zigeunerkinder eingeweiht wurde, waren alle zufrieden. Die Politiker, die Pädagogen und die Presse. Wohlmeinende Reporter besuchten das Dorf und schrieben begeistert von der Šcoală Waldorf und dem innovativen Modellprojekt zur Förderung der Kinder. Die Journalisten ahnten nicht, dass ihre Berichte eine mächtige Verunsicherung auslösen und die Ordnung der Begriffe durcheinanderbringen würden. Politisch korrekt hatten sie von »Roma-Kindern« geschrieben. Dann bekamen die Zigeuner Wind von den Zeitungsmeldungen. Zum Entsetzen der Lehrer meldeten Eltern ihre Söhne und Töchter wieder ab. Die Begründung: Wir sind keine Roma!
    Ich vermutete zunächst, die Roma aus Roşia würden die Bezeichnung ablehnen, um nicht von der rumänischen Mehrheit diskriminiert zu werden. Ein Irrtum. Roma hatten in Roşia einfach nur einen schlechten Ruf. Die Leute schimpften auf kriminelle Clans, mit denen sie nichts gemein haben wollten. Einige Arbeiter, die mit ihren Fuhrwerken voll Feuerholz aus den Wäldern zurückkehrten, erklärten: »Wären wir Roma, würden deren Chefs ihre Eintreiber schicken und wir müssten Tribut zahlen. Aber wir sind keine Roma. Wir sind Tzigani.«
    1990 bereits hatte ich ungarnstämmige Gabor-Sippen kennengelernt, die darauf bestanden, Tzigani zu sein. Mit bildungsbürgerlichem Dünkel hatte ich darin einen Mangel an ethnischem Selbstbewusstsein gesehen. Nur habe ich seitdem ungezählte Male erlebt, dass die Zigeuner in Südosteuropa mit dem deutschen Begriffspaar Sinti und Roma nichts anzufangen wussten. Und auch nicht wollten. Journalistenkollegen erging es genauso. Der polnische Dokumentarfilmer und Grimme-Preisträger Stanisław Mucha erzählt von seinen Dreharbeiten in der Slowakei, dass selbst die Kinder Zigeuner genannt werden wollten, weil sie all die gutgemeinten Bezeichnungen wie Roma oder Sinti nicht mochten. Auch die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller schreibt: »Ich bin mit dem Wort Roma nach Rumänien gefahren, habe es in den Gesprächen anfangs benutzt und bin damit überall auf Unverständnis gestoßen. Das Wort ist scheinheilig, hat man mir gesagt, wir sind Zigeuner, und das Wort ist gut, wenn man uns gut behandelt.« Und der rumäniendeutsche Autor und Ethnologe Franz Remmel zitiert den Bulibascha von Crăciuneşti, der erklärte: »Sagst du zu mir Rom, dann beleidigst du mich. Nennst du mich Zigeuner, dann sprichst du mir zu Herzen.« Remmel, der für seine tsiganologischen Studien mehrfach von der Königsfamilie Cioabă geehrt wurde, weist darauf hin, dass der verstorbene oberste Bulibascha der Kalderasch Ioan Cioabă »konsequent den Begriff Zigeuner« verwendete. Ebenso sein Sohn und Nachfolger Florin. Für den Roma-Experten Remmel sind die Benennungen Sinti und Roma lediglich »Kunstbegriffe der Political Correctness, welche die Bürgerrechtsbewegung deutscher Sinti und Roma durchgesetzt hat«.
    »Zigeuner«, behauptet Romani Rose in diversen Interviews, »so haben wir Sinti und Roma uns niemals selbst genannt.« Für den 1946 in Heidelberg geborenen Rose, der seit über drei Jahrzehnten dem Zentralrat Deutscher Sinti

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