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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bauerdick Rolf
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Verständigung zwischen deutschen Zigeunern und der deutschen Mehrheitsgesellschaft« anstrebt. Dabei richtete sich Frau Winter nie danach aus, was lobbytaktisch opportun war. Anstatt sich bei jeder Gelegenheit mit immer gleicher Empörungsrhetorik über die Diskriminierungsgeschichte ihres Volkes zu entrüsten, drehte Natascha Winter den Spieß um. Sie stärkte selbstbewusst eine zigane Identität.
    »Ich bin glücklich und stolz, eine echte Zigeunerin zu sein. Beide Elternteile waren Zigeuner. Ich gehöre dem Volk der Sinti an, genauer gesagt, ich bin von den Württembergern«, bekundete die Sintezza unbefangen. Sie widersetzte sich damit dem Erbe auch der verbalen Barbarei der Nazis, die mit dem Völkermord an den Zigeunern auch deren Namen pervertieren wollten. Für Natascha Winter gereichte der Name »Zigeuner« den Zigeunern zur Ehre. Mit dieser Ansicht löste sie 2010 Irritationen aus. Was war geschehen?
    Der Abgeordnete Tino Müller, Mitglied der Fraktion der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands, hatte während der Sitzung Nummer 101 in Mecklenburg-Vorpommern im Schweriner Landtag einen Antrag vorgebracht, in dem er forderte, bestehendes Ausländerrecht und einen bilateralen Vertrag zwischen der Bundesrepublik und dem Kosovo »konsequent anzuwenden«. Für Müller war es von drängendem nationalem Interesse, fünfundfünfzig in Mecklenburg geduldete Roma unverzüglich in ihre ehemalige Heimat abzuschieben. Mit stockender Stimme las er seine unterkühlte Rede vom Blatt ab. Er sprach von einer vagabundierenden Volksgruppe, von Scheinasylanten und Wohlfahrtsimmigration und erklärte, aufgrund von Erfahrungen in einem mecklenburgischen Dorf sei ein »verordnetes Zusammenleben« von Roma und Deutschen »eine Belastung und Zumutung«. Dann entzog der Vizepräsident des Landtags, der Freidemokrat Hans Kreher, dem NPD -Mann das Wort. Der Nationalist hatte in seiner Rede diverse Male das Wort »Zigeuner« verwendet. Der studierte Gymnasiallehrer Kreher wertete den Begriff als diskriminierend und schaltete dem gelernten Maurer Müller nach drei mahnenden Ordnungsrufen das Mikrofon ab. Der christdemokratische Abgeordnete Peter Stein erklärte daraufhin, wieder einmal habe sich »die rassistische, reaktionäre und menschenfeindliche Gesinnung der NPD « offenbart, und der Zentralrat der Deutschen Sinti und Roma in Heidelberg stellte gegen Müller eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Verleumdung. Abgesehen davon, dass der Zentralrat die Anzeige an das falsche Justizministerium schickte, womöglich in der Annahme, der NPDler habe seine Rede nicht im mecklenburgischen Schwerin sondern im sächsischen Landtag in Dresden gehalten, hatten sich die Kontrollmechanismen und Sanktionsrituale der Demokratie bewährt. Dann erhielt die sozialdemokratische Landtagspräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Sylvia Bretschneider, einen Brief.
    Abgeschickt hatte ihn Natascha Winter, die erklärte, der Ordnungsruf gegen Herrn Tino Müller habe in ihrer Gemeinschaft Diskussionen und Besorgnis hervorgerufen. »Die Verwendung des Begriffs Zigeuner«, schrieb Frau Winter, »sollte nicht zu einem Ordnungsruf führen. Dies trägt dazu bei, dass die Volksbezeichnung von zwölf Millionen Menschen, die in Europa leben, tabuisiert wird.« Damit hatte die Vorsitzende der Sinti Allianz selbst ein Tabu berührt. Sie hatte das Monopol derer angetastet, die über die korrekte Verwendung der Begriffe wachen. Natascha Winters Begründung: »Eine positive Einstellung zu uns und unseren Kulturen erreichen wir nicht, indem wir leugnen, Zigeuner zu sein, und jedem mit Strafverfolgung drohen, der den Begriff Zigeuner wertfrei verwendet. Die Entgleisungen von Herrn Müller wären nicht dadurch akzeptabler gewesen, wenn er statt von Zigeunern von Roma gesprochen hätte.«
    Natascha Winter beanspruchte, für die eher schweigende Mehrheit ihres Volkes zu sprechen. Entschieden grenzte sie sich von dem Vertretungsanspruch und der Opferpolitik des Zentralrats ab und beklagte, dass eine »Minderheit von Vereinsfunktionären über die Medien in der Öffentlichkeit ein völlig falsches Bild verbreitet«. Jeder, der die Bezeichnung Zigeuner verwende, werde als Rassist beschimpft und in die rechte Ecke stellt. »Auch die eigenen Leute werden nicht von diesem Vorwurf verschont. Eine Reihe von Nichtzigeunern, die sich ebenfalls in Zigeunervereinen engagiert haben oder sie sogar führen, vervollständigen diese negativen Erscheinungen und sind

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