Zigeuner
kurvten sie umher, Auto an Auto. Dabei sah jedermann, dass es den Roma-Frauen nicht gut ging. Viele sahen schlecht aus, und manche wurden offensichtlich verprügelt.«
Radka Inkova * hörte den Namen Dortmund erstmals, als sie in der Bornstraße aus einem Minibus stieg. Das war vor fünf Jahren, und Radka war sechzehn. Hinter ihr lagen 2000 Straßenkilometer und die Stadt Plovdiv, wo die junge Mutter zwei kleine Kinder zurückgelassen hatte. Radka bezog ein Zimmerchen in einer Nordstadtwohnung, neben einem gewissen Arslan, den sie für ihren Freund hielt, und einer gemeinsamen Bekannten namens Habibe. Keine vierundzwanzig Stunden später betrat sie das »Café Mastika«. Schlagartig wurde ihr klar, dass sie in Dortmund nicht als Kellnerin Kaffee und Kuchen servieren würde, wie Arslan ihr versprochen hatte.
»Der Laden war sehr voll«, erzählte Radka. »Vielleicht dreißig Frauen, die sehr aufreizende Klamotten trugen. Manche knutschten mit Männern herum. ›Du wirst hier arbeiten‹, hat Arslan gesagt.« Und weil der Bulgare Arslan P. aus Stolipinovo nicht zu der Sorte Männer gehörte, die Widerspruch dulden, lernte Radka jenes Gefühl kennen, das ihre Grundstimmung bis heute prägt: Furcht. Manchmal reicht schon das bloße Klingeln ihres Handys, um diese zu wecken.
Es war nicht einfach, Radka Inkova zu treffen. Frauen wie sie sprechen nicht über ihr Leben und schon gar nicht mit einem Mann, einem Journalisten und dazu Gadscho. Doch Radka vertraute den Frauen der Dortmunder Mitternachtsmission, der Beratungsstelle der evangelischen Kirche für Prostituierte und für Opfer des Menschenhandels. Der Sozialarbeiterin Andrea Hitzke verdanke ich, dass Radka bereit war, mir ihre Geschichte zu erzählen, mit der Dolmetscherin ihres Vertrauens. Auch nach sechs Jahren in Dortmund spricht die Romni kaum Deutsch. Wir trafen uns an einem geschützten Ort, in ruhiger Atmosphäre, die nur hin und wieder gestört wurde, wenn Radkas Mobiltelefon klingelte.
Radka wurde in Stolipinovo geboren, hinein in eine Familie mit zwölf Kindern »irgendwo in der Mitte«. Zur Schule schickten ihre Eltern sie nicht. Stattdessen verheirateten sie ihre Tochter, nicht nach staatsbürgerlichem, wohl aber nach ziganem Recht. Radka zählte zwölf Jahre, als sie zu der Familie ihres achtzehnjährigen Mannes in Stolipinovo zog. »Eine Hochzeitsfeier, nein«, sagte sie, »die hat es nie gegeben. Dafür hatte niemand Geld.« Einen Monat später lief sie ihrem Mann weg. »Er war sehr eifersüchtig. Er wollte, dass ich immer zu Hause bleibe, und hat mich geschlagen.« Öfter? Radka überlegte einen Moment. »Eigentlich jeden Tag.« Nachts in einer Disco lernte sie Arslan P. kennen. »Er hatte getrunken und sagte nur: ›Du kommst mit mir. ‹« Spätestens seit dieser Begegnung wusste Radka, dass das, was sie wollte, nicht zählte. Es würde in ihrem Leben egal sein, ob sie ja sagte oder nein, ob sie nickte oder widersprach. In letzter Konsequenz liefen ein Ja oder ein Nein auf dasselbe hinaus. Sie war das Eigentum eines anderen.
Wenn sie fortlief, holte Arslan sie zurück. Wenn sie sich versteckte, spürte er sie auf. Letztlich blieb sie, weil es im Grunde gleich war, welchen der beschissenen Orte, die das Leben für sie vorsah, sie wählte. Arslan gab sie an andere Männer weiter. Und kassierte. Und weil sie keinen Schimmer hatte, dass man von dem, was sie mit den Kerlen machte, schwanger werden kann, gebar Radka mit dreizehn ein Mädchen, das sie Irina nannte, und mit fünfzehn einen Jungen namens Dimi. Von den beiden weiß sie nur, dass sie heute in Bulgarien in einem Heim leben. Gesehen hat sie die Kinder nicht mehr, seit sie 2007 mit Arslan und Habibe in Stolipinovo ein Busticket nach Dortmund kaufte. »Arslan hatte mir versprochen, mit den fremden Männern, das werde aufhören. Weil wir in Deutschland ein besseres Leben beginnen wollten. Gemeinsam. Aber in Dortmund ging er auf einmal mit Habibe. Die beiden wurden ein Paar, während ich für ihn arbeiten musste.«
Radka blieb nicht lange im Mastika, das zwischenzeitlich wegen illegaler Prostitution dichtgemacht wurde und heute wieder ein schlichtes Café ist. Weil die Romni damals minderjährig war und der Betreiber Ärger fürchten musste, wurde sie von Arslan in die Ravensberger Straße geschickt. Immer wieder wurde Radka von der Polizei aufgegriffen. Mal verbrachte sie eine Nacht auf dem Revier in der Münsterstraße, mal schlief sie in der Jugendschutzstelle des Sozialdienstes der
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