Zigeuner
abgeschnitten«, sagte Reiner Rautenberg. Geschockt sei man gewesen, »von der Aggressivität und der Missachtung einer Gruppe, die auf alle Regeln pfiff«. Auf das gesprächsbereite Personal reagierten die Besetzer feindselig, und spätestens als sie einen kirchlichen Mitarbeiter mit einem Messer bedrohten, war klar, dass die Diakonie nicht mehr Herr im eigenen Haus war. Um nicht mit einem Polizeieinsatz Vertrauen zu verspielen, heuerte das Werk einen privaten Sicherheitsdienst an. Vorher wurden sogar Flugblätter auf Bulgarisch verteilt, um die Roma über die Maßnahme zu informieren. Die Drohgebärde reichte. Die Zigeuner blieben fort, und nach vierzehn Tagen zog die Security wieder ab. »Die Roma hatten an allem Interesse«, bilanzierte Pressesprecher Rautenberg, »nur nicht an einer Beratung.«
Im Lauf unseres Gespräches machte die Projektentwicklerin Uta Schütte eine Bemerkung, die mir lange nachhing: »Man kommt in der Begegnung mit den Roma an seinen eigenen Rassismus heran. Aber das darf man nicht sagen, ohne dafür gleich verurteilt zu werden. Es ist fürchterlich, aber uns fehlt jede Diskussionskultur und jeder Mut, offen über diese Fragen zu sprechen, um dann das Richtige zu tun und den Menschen wirklich helfen zu können.« Ich hatte Uta Schütte als eine aufrechte Sozialarbeiterin kennengelernt und erlaube mir, ihr zu widersprechen. Ich bezweifle, dass sie irgendeinen schlummernden Rassismus geweckt hatte. Sie war einfach nur verärgert, dass Menschen, denen sie mit Wohlwollen begegnete, die elementarsten Regeln des Umgangs miteinander missachteten. Uta Schütte-Haermeyer war sauer. Nicht mehr und nicht weniger.
»Ich bin doch keine Rassistin, weil ich mich dagegen verwahre, wenn bei meinem türkischen Nachbarn zum dritten Mal eingebrochen wird«, sagte die Stadträtin Marita Hetmeier. »Situationen eskalieren, wenn man die Probleme nicht beim Namen nennt, sondern ständig unter den Teppich kehrt.« Die sozialdemokratische Abgeordnete vertrat den Wahlkreis Nordmarkt im Rat der Stadt Dortmund und genoss den Ruf, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Und zu polarisieren. Die umgängliche, aber auch energische Politikerin, die im Herzen der Nordstadt ein kleines Maklerbüro betrieb, hatte vehement für die Schließung des Straßenstrichs Front gemacht. Was ihr im alternativen Milieu den Ruf einbrachte, sie bediene sich »antiziganistischer Ressentiments« und kehre »mit eisernem Besen«. Nun kann man darüber streiten, ob es klug war, vor den Frauen auf der Ravensberger das Ende der Straßenprostitution mit einer Musikantenkapelle und dem Motto »Wir blasen ohne Gummi« zu feiern. Natürlich verdarb sie damit den chattenden Freiern auf hinter-hornbach.de die Laune. Ein gewisser »Metzi« nutzte die Anonymität seines Namens denn auch zu einem Appell, der »Möchtegern-Politikerin Dr. Hetgeier« im Dunkeln die Fensterscheiben einzuschmeißen. Als Frau Hetmeiers Büro mit Farbbeuteln beworfen wurde, »markiert«, wie es im Jargon heißt, rechtfertigte das linksautonome Forum indymedia.org die Aktion als Ausdruck irgendeines Widerstandes, mit der Begründung, die Wohnungsmaklerin versuche »aus der Aufwertung der Nordstadt Kapital zu schlagen«. Das sah die Sozialdemokratin, die sich seit fast zwanzig Jahren für ihren Stadtteil engagierte, ein wenig anders. »Die Spekulanten und Mietwucherer haben doch gerade von der Existenz des Straßenstrichs profitiert. Wir wollen hier ein Viertel, in dem Menschen gerne leben und kein Paradies für Sozialarbeiter, die tagsüber hier ihre Projekte betreiben, es ansonsten aber vorziehen, mit ihren Familien und Kindern in Gegenden zu wohnen, wo keine Haustüren eingetreten sind.«
Die Schließung des Straßenstrichs und das Ende des jahrelang funktionierenden »Dortmunder Modells«, so die Stadträtin, »sind allein der Situation geschuldet, dass die Behörden viel zu spät auf die Beschwerden der Bewohner reagiert haben«. Selbst die Migranten, tendenziell geneigt, unhaltbare Zustände zu dulden, beteiligten sich an einem »Marsch der tausend Eltern« zum Dortmunder Rathaus, um für ihre Kinder und gegen die Verwahrlosung der Nordstadt zu protestieren. »Paradiesische Zustände herrschten hier nur für die Freier«, sagte Marita Hetmeier. »Die bulgarischen Frauen, von denen kaum eine lesen und schreiben kann, waren völlig unbedarft und haben die Preise auf dem Strich ins Bodenlose fallen lassen. Das lockte Männer aus dem ganzen Dortmunder Umland an. In Schlangen
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