Zigeuner
Kriminalität der Roma aus dem öffentlichen Raum verbannt werden, überlässt man das Problem der Bild -Zeitung und nationalistischen Internetforen, um sich dann beklagen zu können, die Rechte schüre antizigane Vorurteile. Das war nicht immer so.
In dem Buch Roma – Eine Reise in die verborgene Welt der Zigeuner wird Romani Rose auf die Frage, warum deutsche Sinti gegenüber »ihren Brüdern aus Osteuropa und dem Balkan« so »offen ihre Feindschaft« zeigen, mit den Worten zitiert: »Darin liegt ganz sicher eine gewisse Tragik. Das Verhalten mancher ›Zigeuner‹-Stämme gegenüber anderen ist oftmals schlimmer als das der Einheimischen gegen unsere Rasse … Die Roma leben oft in Zelten und Slums, manche sind Diebe und Bettler. Die Sinti meiden sie, weil sie nicht mit ihren Brüdern verglichen werden wollen.« Ein Gadsche, der sich ähnlich äußert, gilt heute als Volksverhetzer.
Wie zum Trotz auf die diskursiven Tabus kursierten in Polizeiprotokollen und Presseberichten eine Weile verbale Albernheiten wie »Mobile ethnische Minderheiten« oder »Rotationseuropäer«. Heute ist von Südländern, Rumänen, Bulgaren oder Serben die Rede, womit eine vermeintliche ethnische Diffamierung lediglich gegen eine nationale ausgetauscht wird. Was meine rumänischen und bulgarischen Bekannten ziemlich auf die Palme bringt, weil sie es nicht als einen typischen Wesenszug ihrer Landsleute ansehen, Frauen auf den Strich zu schicken, Kinder zum Betteln anzuhalten oder in Fabriken Kupfer zu klauen. Und meine Dolmetscherin Katya aus Duisburg, eine studierte Philologin und ein besonnener Mensch, ärgert sich schwarz, weil einige zigane bulgarische Staatsbürger ihr »den Ruf ruinieren«. Wenn sie irgendwo erwähnt, dass sie Bulgarin ist, fallen gleich die Sympathiewerte.
Irgendwann saß ich doch im Auto nach Dortmund. Ich hatte zu viel in der Zeitung gelesen. Über Männer, die ihre Arbeitskraft auf einem »Arbeiterstrich« für zwei, drei Euro pro Stunde verhökerten und als Schwarzarbeiter kriminalisiert wurden, während ihre Auftraggeber und Ausbeuter unbehelligt blieben. Über »Ekelhäuser«, eine mediale Wortschöpfung für Dutzende von Mietskasernen, die im Unrat versanken und die regelmäßig geräumt wurden. Aber auch über abgezockte Spekulanten, die Häuser jahrelang verfallen ließen und nun mit den Roma fette Geschäfte machten, indem sie Menschen 200 Euro im Monat für ein Matratzenlager abknöpften. Ich zweifelte nicht, dass die in der Presse gezeichneten Szenarien den Tatsachen entsprachen, doch sie alle hatten einen Makel. Nie hatten die Roma einen Namen und ein Gesicht. Sie waren bloße Repräsentanten ihrer Ethnie, ohne individuelle Biografie. Ich verlor das Gespür dafür, dass sich hinter all den Zuständen Menschen verbargen, mit einer Geschichte, die zu erfahren sich lohnte. Andererseits trieb mich nicht nur purer Edelmut in die Nordstadt. Auch gekränkte Eitelkeit. Ich mochte die Berichterstattung mancher Kollegen nicht mehr ertragen, die sich mit schneller Feder einen ziemlichen Blödsinn zusammenschrieben. Sie verwechselten Bulgaren mit Türken, Türken mit Roma, Roma mit Sinti und kolportierten widerspruchslos die Klagen der Xoraxane, im bulgarischen Stolipinovo gebe es keine Schulen für die Kinder, kein fließendes Wasser und keinen Strom. Ich hatte bereits in den neunziger Jahren in Stolipinovo fotografiert. Die Siedlung war zwar damals schon ein Ghetto der Armut, aber auch ein Ort erstaunlicher Widersprüche. Das Pferdefuhrwerk neben dem Benz, junge Tattoo-Typen mit Goldkette neben Greisen, die Müllcontainer durchwühlten. Während vielen Eltern die Zukunft ihrer Kinder egal war, schickten verantwortungsbewusste Roma ihre Jüngsten selbstverständlich zur Schule. Apropos Strom. Vor der Kulisse der Plattenbauten hatte ich eine junge Frau namens Altenka um ein Porträt gebeten, verwundert darüber, dass im Gegensatz zu den Siedlungen der Bulgaren die Wohnungen der Zigeuner allesamt über Satellitenschüsseln verfügten. In den Jahren nach 2002 kam es in Stolipinovo tatsächlich zu heftigen Protesten. Das Stadtviertel wurde von der Elektrizität abgeschnitten, weil die meisten Bewohner beharrlich alle Stromrechnungen ignorierten. Jedoch traf die Zwangsmaßnahme auch jene Familien, die immer pünktlich gezahlt hatten. Als Bulgarien 2007 der Europäischen Union beitrat, hatte sich das Problem nach der Modernisierung der Elektrizitätsversorgung und nach vielen Gesprächen zwischen einem neuen
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