Zigeunerprinz
besorgt an. »Ja?«
»Möchtest du immer noch abreisen?«
»Es wäre das beste.«
»Vielleicht, aber möchtest du es auch?«
»Ich bin so durcheinander«, weinte sie leise. »Ich weiß nicht, ob man mich beschützt oder nur daran hindert, lästig zu werden. Oder beides. Ich weiß nicht, ob Roderic mich tatsächlich heiraten möchte oder ob er nur aus Pflichtbewußtsein oder Verantwortungsgefühl so handelt.«
»Oder aus Trotz?«
»Ja, auch das.«
»Du könntest hierbleiben, abwarten und es herausfinden.«
»Ich will nicht mehr warten!«
Aber selbst wenn sie entdecken sollte, daß Roderics Wunsch, sie zu seiner Frau zu machen, von Herzen kam, würde das kaum etwas ändern. Nur aufgrund eines Phantasiebildes, das er sich von ihr gemacht hatte, übte sie solche Anziehungskraft auf ihn aus. Er hielt sie für ein Wesen voller Raffinesse und Kapricen, und dieses Bild strahlte eine eigenartige Faszination auf ihn aus, die seine Begierde anfachte. Er liebte sie keineswegs, er mochte sie nicht einmal besonders. Sobald er sie kennengelernt hatte, sobald er das Rätsel, das sie darstellte, zu seiner Zufriedenheit gelöst hatte, würde er bestimmt das Interesse an ihr verlieren.
Grandmere seufzte. »Die Ungeduld der Jungen. Manche Dinge brauchen ihre Zeit.«
Mara hörte kaum, was sie sagte. Den Blick unverwandt auf ihre Großmutter gerichtet, fragte sie: »Warum ist König Rolf so gegen mich eingenommen? Er wollte auch keinen preußischen Prinzen für Juliana, es braucht also nicht unbedingt an meiner Abstammung zu liegen. Womit wäre er denn zufrieden?«
»Du könntest ihn fragen, wenn du bleiben würdest.«
»Glaubst du, daß er den Verdacht hegt, daß ich, obwohl du von de Landes gefangengehalten wurdest, dem Mann aus politischen Gründen geholfen habe?«
Grandmere Helene kniff die Lippen zusammen. »Das ist möglich, nehme ich an.«
»Ich würde nur ungern abreisen, solange er so etwas von mir glaubt.«
»Nein. Das wäre nicht gut.«
»Da ist noch etwas. Wenn wir ausgerechnet jetzt das ruthenische Haus verlassen, so kurz, nachdem diese gräßliche Geschichte aufgekommen ist, könnte es so aussehen, als würden wir fortlaufen. Bestimmt wäre es für alle Beteiligten besser, wenn wir diesen Eindruck vermieden.«
»Allerdings!« bekräftigte die alte Dame mit kampflustiger Miene.
»Dann ist da noch meine Taufpatin. Ich habe viel über sie gehört, und ich möchte sie so gern einmal sehen und mit ihr reden. Es könnte komisch aussehen, wenn wir abreisen, bevor sie eintrifft, und ich möchte sie um keinen Preis der Welt verletzen.«
»Ich würde sie selbst sehr gern sehen.«
»Ja, davon bin ich überzeugt.«
Es gab noch einen Grund, auch wenn Mara es nicht über sich brachte, mit ihrer Großmutter darüber zu sprechen. Als sie Roderic mit seinem Vater zusammen beobachtet hatte, hatte sie das starke Bedürfnis verspürt, herauszufinden, was für ein Mensch er wirklich war, ob sich etwas hinter der harten Fassade verbarg, die er zur Schau trug, ob hinter dem scharfsinnigen, kontrollierten Geist ein Schatten echten Gefühls lag. Sie weigerte sich, darüber nachzudenken, wodurch dieses Bedürfnis in ihr ausgelöst wurde - sie akzeptierte lediglich seine Existenz.
»Ist es also beschlossen? Wir bleiben?« fragte Grandmere.
»Ja, es ist beschlossen«, antwortete Mara. Die Kapitulation kam zwar mit fester Stimme, doch freudlos.
Die darauffolgenden Tage nahmen langsam den Anschein von Normalität an. Nach einem Besuch, den Rolf dem Herausgeber der Zeitung abstattete, von der die skandalöse Nachricht verbreitet worden war, wurde eine Richtigstellung veröffentlicht. Die Zusammenrottungen vor dem ruthenischen Haus lösten sich auf, nicht zuletzt dank der Wachen, die auf eigene Initiative der Truppe aufgestellt worden waren. Ob aufgrund Roderics ausgefülltem Tagesablauf oder Rolfs Anwesenheit, jedenfalls blieb Mara nachts ungestört.
Der König und sein Sohn blieben einander fremd, aber es gelang ihnen, gemeinsam als Gastgeber für die Heerscharen an Gästen aufzutreten, die über das Haus hereinbrachen, sobald sich herumgesprochen hatte, daß Rolf dort residierte. Grandmere Helene hatte inoffiziell die Rolle der Gastgeberin übernommen und präsidierte auf ihrem Stuhl am Ende der Tafel oder in ihrem Sessel am Kamin über die meisten der Versammlungen. Mara wurde wie eine Tochter des Hauses behandelt, vom König beschirmt und von Roderic entweder geneckt oder ignoriert. Anfangs schickte man immer wieder
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