Zigeunerprinz
vielsagende Blick in ihre Richtung, aber das Flair der Ehrbarkeit um sie herum war so undurchdringlich, daß das Interesse bald erlahmte. Die nächtlichen Versammlungen im Salon fanden auch weiterhin statt, aber die sich Versammelnden gehörten nun einer älteren Generation an. Die Konversation war dementsprechend weniger spritzig und aufregend, statt dessen langweiliger. Kein Wunder, daß es immer weniger Teilnehmer wurden.
Es hatte auch Vorteile, erkannte Mara, keinen Gedächtnisverlust mehr vorschieben zu müssen. Sie brauchte nicht länger auf jedes Wort zu achten, sondern konnte sich ganz natürlich unterhalten und benehmen. Sie konnte bedenkenlos von Louisiana und dem Leben dort erzählen. Alle Fragen, die sie den Mitgliedern der Truppe hatte stellen wollen, konnten nun ausgesprochen werden.
Michaels Vater Leopold, erfuhr sie, hatte eine von Angelines Hofdamen geheiratet, eine dunkle fröhliche Frau, die ihm neun Kinder geschenkt hatte. Sie lebten in einem großen, zugigen Haus hoch über einem Tal mit einem gewundenen Fluß darin, und Schreie und Lachen schallten durch die unzerstörbaren Steinmauern. Michaels einziger Ehrgeiz war es, sobald er aus Roderics Dienst getreten wäre, eine Frau zu finden, zu seinen Brüdern und Schwestern in das weitläufige Schloß zurückzukehren, Wein anzubauen, der dem französischen mindestens ebenbürtig wäre, und seinen Stammbaum wachsen zu lassen.
Die Zwillinge, Jacques und Jared, waren Söhne Oswalds, der der ursprünglichen Truppe Rolfs angehört hatte. Auch ihr Vater hatte einen Zwillingsbruder gehabt, aber dieser Bruder war in Louisiana gestorben. Im Augenblick machten beide einer Schneiderin den Hof, eine verzweifelte Liebschaft, die alle Beteiligten auslaugte. Ihre ganze Ergebenheit galt jedoch Roderic, und sie würden ihm überallhin folgen, solange er sie führen wollte.
Estes, der Graf Ciano, erzählte ihr von so vielen Ereignissen, deren Zeuge er geworden war, und so vielen Taten, die er begangen hatte, daß sich beides in ihrem Geist vermischte. Er war ein unermüdlicher Redner, ein begnadeter Erzähler, der seine Geschichten immer mit Humor würzte. Wenn er einmal nichts für Roderic zu erledigen hatte, schrieb er an einem Buch, das auf seinem Leben beruhte und, so erklärte er, alles in den Schatten stellen würde, was Monsieur Dumas bislang zu Papier gebracht hatte. Es wimmelte darin von Kerkern und verlassenen Schlössern, von gefangenen Maiden, die von dem düsteren, leidenschaftlichen Helden gerettet wurden, und enthielt alle Ingredienzien, um seine Taschen mit Gold zu füllen. Es war vielleicht ein bißchen gewagt, aber nicht allzu sehr.
»Es wird bestimmt verboten«, erklärte ihm Trude. »Der Papst wird es auf die Liste setzen.«
»Nur weil ich darauf bestehe, daß der Held immer für seine Rettungsbemühungen belohnt werden sollte? Was soll daran schlecht sein?«
»Dein Held sieht dir sehr ähnlich.«
»Und?« verlangte der Italiener zu wissen, während er sich den dicken Schnurrbart zwirbelte.
Trude machte eine Kopfbewegung in Richtung des Grafen und sagte zu Mara: »Er hält sich für den Eros des neunzehnten Jahrhunderts.«
Er blickte sie lüstern an. »Bin ich das etwa nicht?«
Die blonde Amazone grinste ihn tatsächlich an. »Eros Estes.«
Estes schüttelte den Kopf und schenkte Mara einen düsteren, trauernden Blick. »Sie versteht nichts von Literatur. Sie hält sie für einen Jux. Ich mußte mich ausgerechnet in eine riesige blonde Amazone verlieben, die mich in ihrer Unwissenheit verlacht.«
Estes stand auf und marschierte mit hängendem Kopf ab. Trude kicherte. »Er ist wirklich komisch. Seine Liebe zu mir ist überhaupt der größte Jux, glaube ich. Bestimmt - oder etwa nicht?«
Am schwierigsten war der Zigeuner Luca einzuschätzen. Er schien nirgendwohin zu passen. Er gehörte zur Truppe und trug ihre Uniform, aber an ihm sah sie immer anders, weniger korrekt, dafür verwegener aus, wenn auch schwer zu sagen war, wodurch dieser Eindruck hervorgerufen wurde. Er vollführte alle erforderlichen Manöver, trainierte so verbissen wie jeder andere an seiner Kraft, Behendigkeit und Schnelligkeit in den verschiedenen Galerien und Höfen des Baus, und doch hatten seine Bewegungen immer etwas Unvorhersehbares an sich.
Außerdem war nicht wirklich einsichtig, warum er der Truppe unbedingt hatte beitreten wollen. Loyalität seinem Führer gegenüber war bestimmt nicht der Grund gewesen. Er respektierte Roderic und führte seine Befehle
Weitere Kostenlose Bücher