Zigeunerprinz
meine Liebe?« Die Schriftstellerin drehte sich mit einem gnädigen Lächeln zu ihrem Begleiter um. »Darf ich Sie mit meinem Freund Balzac bekanntmachen?«
Der Mann neben ihr war, wie so viele in diesem Raum, etwa von mittlerem Alter. Dank seiner schweren Gestalt, dem großen Kopf, dem dicken Hals und den Stierschultern wirkte er, obwohl er nicht besonders groß war, doch sehr eindrucksvoll. Sein Gesicht war rot, seine Nase breit und dick, und die Zähne unter dem zerrupften Schnurrbart waren vergilbt.
»Es ist mir ein Vergnügen, Monsieur. Ich habe Ihre Bücher gelesen.«
»Das haben Sie? Welche?« Die Worte kamen wie aus der Pistole geschossen.«
»Vater Goirot natürlich und ein paar andere Bände der Menschlichen Komödie, allerdings nicht alle. Es ist ein einzigartiger Zeitvertreib, aber auch ein großes Unterfangen!«
»Er kennt bei der Arbeit wie beim Essen keine Grenzen, nicht wahr?« sagte Madame Dudevant.
»Man muß seine Gläubiger bezahlen«, erklärte Honore de Balzac mit traurigem Kopfschütteln. »Die Handelsleute haben die unangenehme Angewohnheit, von einem Mann zu erwarten, daß er genug Geld hat, um für seine Wünsche aufzukommen. Das ist unmöglich.«
»Sie und Dumas«, meinte Aurore Dudevant mit resignierter Stimme, »Sie verdienen Geld, als würde es direkt aus ihrem Federkiel strömen, und Sie können sich beide glücklich schätzen, wenn man Sie einst nicht im Armengrab beisetzt.«
»Mit Hugo zwischen uns.«
»Victor hat mehr Glück mit seinen Frauen; sie kopieren nicht nur seine Manuskripte und Briefe als unbezahlte Sekretärinnen, sie verwalten auch sein Geld.«
»Seine Frau, hört man, hält jedenfalls die Geldbörse fest umklammert.«
»Eine starke Persönlichkeit, diese Madame Adele.«
»Jedenfalls besitzt sie genug Verstand, um ihn nicht allzu kurz an der Leine zu halten.«
»Ja. Sie beklagt sich nicht mehr darüber, daß er sie vernachlässigt, habe ich gehört. Anscheinend hat sie aus der Praslin-Affäre gelernt.«
Maras Neugier wurde durch die vielsagenden Blicke geweckt, die die anderen tauschten, und so mischte sie sich ein: »Die Praslin-Affäre?«
George Sand alias Madame Dudevant klärte sie darüber auf. Vor einigen Monaten, Ende August, hatte der Duc de Praslin seine Gattin ermordet. Er hatte sie mit einem Messer erstochen und mit einem Kerzenständer auf sie eingeschlagen, während sie schlafend in ihrem Haus in der Rue de Faubourg St. Honore lag. Bösartigste Gerüchte rankten sich um die möglichen Gründe für die Tat. Man sagte, der Duc sei verliebt in Mademoiselle Deluzy, die Gouvernante seiner Kinder, gewesen; die Duchesse habe ihre Kinder verdorben, weil sie als Kind ihrer eigenen Gouvernante ausgesetzt gewesen sei, die, wie man es umschrieb, manchmal »nicht auf die Insel Kytharo, sondern auf die von Lesbos« geflohen sei. Manche sagten, der Duc sei ein kalter, in sich gekehrter Mensch, der seinen Verstand verloren habe, während andere behaupteten, daß die emotionale und sexuelle Dominanz der Duchesse den ruhigen Mann in den Wahnsinn getrieben habe. Man wußte nur eines mit einiger Gewißheit: daß die Ehe mit einer Liebesheirat begonnen hatte und einige Zeit voller Liebe weitergeführt worden war, so daß ihr neun Kinder in dreizehn Jahren entsprungen waren. Von da an hatte sie sich unvermutet in hitzigen Streitereien und getrennten Schlafzimmern aufgelöst - bis zu einer heißen Nacht im August.
Die Tragödie war nur die letzte in einer ganzen Reihe von Enthüllungen und anderen Wahnsinnstaten unter den Vornehmsten im Lande. Nicht lange davor hatte der Comte Mortier versucht, seine Kinder zu ermorden; der Prince d'Eckmuhl hatte in einem Wutanfall seine Mätresse erdolcht; der französische Botschafter in Neapel hatte sich die Kehle mit dem Rasiermesser durchtrennt; und der Wahrer des Siegels, Martin du Nord, hatte auf seine Verstrickung in eine Moralaffäre reagiert, indem er sich das Leben genommen hatte. Die Menschen hatten allgemein das Gefühl, daß unter der respektablen Fassade der Regierung Louis Philippes giftige Fäulnis wucherte, die man ausrotten mußte, selbst wenn es den Kopf des Regenten kosten sollte.
»Nie werde ich vergessen, wie sich das Volk vor dem Haus aufführte, in dem Praslin den Mord begangen hat. Sie schienen kein Mitleid mit der Duchesse zu haben, die tot in einem der Räume lag, und auch nicht wirklich zornig auf den Duc zu sein, der Gift genommen hatte und von der Polizei weggebracht worden war. Sie schrien immerzu:
Weitere Kostenlose Bücher