Zigeunerprinz
zurückbleibt.«
»Ich fürchte, ich habe nichts dergleichen«, begann Mara.
»Aber ich«, sagte Juliana, »und es ist sehr wirksam. Wenn Sie mit mir kommen, dann suche ich es Ihnen heraus.«
»Das wäre zuviel -«
»Unfug. Wir Frauen müssen Zusammenhalten. Allein die Vorstellung, daß Roderic Ihr Gesicht verletzt hat! Er hätte genausogut Ihren Arm treffen können, wenn er nur gewollt hätte. Ich hätte nie geglaubt, daß er so unvorsichtig sein kann.«
»Er war nicht unvorsichtig.« Trudes Stimme klang hart, als würde sie sich die Worte gegen ihren Willen abringen.
»Wollen Sie damit sagen, er hat das absichtlich getan?«
»Es war ein Lektion, weil ich Mademoiselle Chere als eitel bezeichnet habe.«
»Nein«, hauchte Mara und stand auf. »Das kann nicht sein.«
»Sie kennen ihn nicht.«
Die Worte sollten Mara daran erinnern, daß sie neu in ihrer Gemeinschaft war. In ihnen lag auch ein bitterer Hohn, der aber vielleicht nicht nur auf Mara, sondern auch auf sie selbst zielte.
»Wenn das wahr ist, möchte ich Sie um Verzeihung bitten.«
»Es gibt keinen Grund für Sie, um Verzeihung zu bitten. Er hat es nicht Ihretwegen getan, sondern - sondern zu meinem Besten.«
»Egal«, mischte sich Juliana lebhaft ein, als Mara nicht antwortete, »welchen Grund er auch gehabt hat, wir müssen den Schaden reparieren. Kommen Sie mit.«
Die beiden Frauen gingen. Mara begann wieder zu flicken, aber obwohl sich ihre Nadel stetig fortbewegte, konnte sie
nicht vergessen, was Trude gesagt hatte. Hatte Roderic Trudes Gesicht zur Strafe verletzt? Wenn ja, hatte er es aus dem Grund getan, den Trude angedeutet hatte; als Ermahnung, nicht über die Eitelkeit anderer Frauen zu sprechen, ohne sich selbst dabei zu berücksichtigen? Oder war es als Ausgleich dafür gedacht, daß die Frau Mara in Verlegenheit gebracht hatte, als Strafe für eine Beleidigung, die der Prinz damals scheinbar übergangen hatte? Daß ein Mann so kaltblütig vorgehen konnte, verstörte sie. Daß sie mit einem Mann intim werden mußte, der zu so etwas fähig war, war noch viel schlimmer.
Das Corps des Todes. Was für eine Gruppe war das eigentlich, und was für ein Mann war ihr Anführer? Sie hatte Roderic für einen müßiggängerischen Prinzen gehalten, für einen hübschen, intelligenten, musikalisch begabten, aber letzten Endes unbedeutenden Mann. Je mehr sie erfuhr, desto weniger schien sie von ihm zu wissen oder zu verstehen.
Sie begegnete Roderic in der langen Galerie, als sie später an diesem Abend auf dem Weg zu den Empfangsräumen war. Er kam aus seinen Gemächern, als sie durch den Hauptgang wanderte, den sie genommen hatte, statt durch die Zimmer zu gehen, die Trude und Juliana in ihrem Flügel bewohnten. Sie blieb stehen, als sie ihn sah, und prüfte unbewußt seine Miene daraufhin, ob sie etwas über seine Laune verriet. Er bot ihr seinen Arm an. Sie nahm ihn und ging ein paar Schritte an seiner Seite, bevor sie genau das aussprach, was ihr durch den Kopf ging.
»Darf ich Sie etwas fragen?«
Er schenkte ihr einen mißtrauischen Blick, aber er neigte in schweigender Zustimmung den Kopf.
»Haben Sie Trudes Gesicht absichtlich verletzt?«
»Behauptet sie das?«
»Das wissen Sie genau.«
Er atmete mit einem leisen Geräusch aus, das vielleicht ein Seufzen war.
»Trude ist ein zu guter Soldat. Solche Ergebenheit kann nützlich sein, aber sie droht darüber zu vergessen, daß sie eine Frau ist.«
»Das ist kaum verwunderlich, da man sie selten wie eine behandelt. Wir neigen dazu, uns so zu sehen, wie uns die anderen sehen.«
»Wenn das geschieht, wäre es vielleicht ganz gut, wenn man uns zwänge, noch mal genau hinzusehen.«
»War das der Grund? Wollten Sie sie daran erinnern, daß sie eine Frau und ebenso eitel ist?«
»Ich wollte sie daran erinnern, daß es auch andere Dinge gibt, als nur Mitglied meiner Truppe zu sein.«
»Ich habe irgendwie das Gefühl, daß sie das weiß.«
»Sie meinen also, sie birgt ein weiches Herz in ihrem Busen? Außerdem erschien es mir notwendig, damit sie mich nicht zu einer romantischen Gestalt stilisiert. Manche Männer geben sich zur Zeit gern als mißverstandene, gequälte, poetische Seelen, aber dazu gehöre ich nicht. Ich bin ein Mann, der eine Aufgabe zu erledigen hat, und das kann ich am besten, wenn ich ungebunden bin. Außerdem ist in der Truppe nur Platz für Menschen, die das Wohl aller obenan stellen, statt sich instinktiv um das Wohlbefinden eines einzelnen zu kümmern.«
»Sie
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