Zigeunerprinz
jedoch auf keinen Streit ein. Er steckte die Hand seiner Schwester unter seinen Arm, nahm Maras unter den anderen und ging los, über die Schulter zurückrufend: »En avant, mes enfants!«
7. Kapitel
Die Versammlung war nicht groß, aber lautes Gelächter und lebhafte Gespräche erfüllten den Raum. Die Menschen standen in Grüppchen beisammen, argumentierten und gestikulierten mit konzentrierten Mienen. Madame Hugo kreiste zwischen ihren Gästen, stellte sie einander vor und dirigierte die Käse, Wein und Pastetchen servierenden Diener. Victor Hugo hielt in einem ausladenden Lehnsessel am Kamin Hof. Ein paar Männer und Frauen hatten sich zu seinen Füßen auf dem Teppich niedergelassen.
Der Raum war lang und geräumig, und an den Wänden hing roter Stoff, der mit orientalischen Mustern bemalt war. Das Mobiliar war dunkel, schwer, mit Schnitzereien verziert und mit rotem Plüsch belegt. Eine Reihe von üppigen Ottomanen im neuesten Stil waren aufgestellt. Das Gaslicht an der Decke spuckte und fauchte in einer schwarzen, schmiedeeisernen Halterung mit gravierten Milchglaskugeln. Die Vorhänge, welche die Nacht ausschlossen, und die Tischdecken auf den verschiedenen Tischchen im Raum waren mit dicken Seidenfransen versehen.
Mara stand mit Estes und Michael in einer Ecke. Sie war froh über die Begleitung der Männer, die sie geduldig auf die verschiedenen Gäste hinwiesen; sie fühlte sich in einer derart intellektuellen Umgebung mehr als nur ein bißchen eingeschüchtert. Alle schienen so überzeugt von sich und ihren Ideen zu sein, so schnell bereit, jeden Widerspruch niederzureden. Niemals fehlte ihnen das passende Wort oder eine elegante abstrakte Wendung. Theorien und komplizierte Ideologien flogen durch die Luft wie Spielzeug. Hier waren Menschen versammelt, die bestimmt berühmt auf ihrem Gebiet waren, aber sie kannte keinen einzigen davon.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Mademoiselle«, versicherte ihr Estes, als sie ihm und Michael das erklärte. »Die Hälfte der Leute im Raum versteht nicht ein Zehntel dessen, was die andere Hälfte erzählt, aber sie alle - alle! - schneiden wie verrückt auf. So ist die Welt nun mal.«
Mara erkannte Alexandre Dumas, der eine andere seiner scheußlichen Westen trug. Diese hier war giftgrün und ei-gelb gestreift. Sein rundes Gesicht strahlte vor Freude, er verspeiste dicke Käsescheiben ohne jedes Brot und sprach über seine neue Hamlet-Produktion. In seiner Nähe, aber nicht in seinem Zuhörerkreis, stand eine Frau von Anfang Vierzig, die in ein konservatives schwarzes Wollkleid mit enger Basque und vollem Rock mit scharfen Falten gekleidet war und ein grauschwarz gestreiftes Cape übergeworfen hatte. Diese Dame hatte man ihr auf der Straße gezeigt, als sie zum erstenmal nach Paris gekommen war. Roderic hatte sie ebenfalls erwähnt.
»Ist das nicht Madame Dudevant, die ihre Bücher mit George Sand signiert?« fragte sie leise.
Michael folgte ihrem Blick und nickte. »Sie ist heute abend sehr langweilig gekleidet. Manchmal belebt sie die Szene etwas, indem sie Hosen anzieht.«
»Das ist für Sie beide doch nichts Ungewöhnliches«, sagte Mara. »Immerhin trägt Trude ständig Hosen.«
»Trude ist - na ja, eben Trude.« Michael zuckte mit den Achseln.
Vielleicht hatte Roderic recht, vielleicht war es wirklich an der Zeit, Trude bewußt zu machen, daß sie eine Frau war, aber in diesem Augenblick sagte Estes etwas zu ihr und lenkte sie ab.
»Madame Dudevant betrauert immer noch ihre Trennung von dem Komponisten Chopin, würde ich vermuten. Sie hatten einen großen Streit über die Hochzeit ihrer Tochter, und deswegen hat er sie verlassen. Die Trennung scheint endgültig zu sein.«
»Ich habe gehört, Chopin sei krank«, sagte Michael. »Er hat eine Lungenkrankheit«, antwortete Estes. »Er gibt Madame Dudevant die Schuld daran, weil sie ihn vor einigen Jahren nach Mallorca brachte, wo er sich angesteckt habe.«
»Das erscheint mir kaum gerecht«, sagte Mara. »Sie kann ihn nicht gezwungen haben, mitzukommen.«
»Sie hat die stärkere Persönlichkeit. Sie ist sechs oder sieben Jahre älter.«
»Was hat das schon zu sagen?«
»Eine Menge, wie Sie feststellen werden, wenn Sie Bekanntschaft mit ihr gemacht haben. Hier entlang!« Der Italiener nahm sie bei der Hand und schlängelte sich durch die Menge.
»Nein, warten Sie!« rief Mara, aber er schenkte ihr keine Beachtung. Einen Augenblick später wurde sie Aurore Dudevant vorgestellt.
»Wie geht es Ihnen,
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