Zigeunerstern: Roman (German Edition)
das wichtig. Ich werde ihre Unterstützung nötig haben, falls sich die Geschichte auf Galgala nicht günstig entwickelt, und ich bezweifle, dass das der Fall sein wird. Wie kann ich sie also bitten, sich dorthin zu wagen und ihr Leben für mich aufs Spiel zu setzen, wenn sie überzeugt sind, dass ich unter Missachtung aller ihrer guten Ratschläge absichtlich meinen Hals in die Schlinge stecke?«
»Sie werden alles tun, worum du sie bittest, Yakoub.«
»Also, da habe ich doch meine Zweifel.« Ich war schwankend geworden. Angesichts einer derart geschlossenen Opposition kam es mir doch in den Sinn, dass ich vielleicht meine Idee besser aufgeben sollte. Vielleicht war es ja eine Irrsinnsidee. Vielleicht setzte ich damit nicht nur mich, sondern uns alle einem unnötigen Risiko aus. »Aber sie sind doch keine Idioten«, sagte ich. »Wenn sie alle glauben, ich sollte nicht hingehen, dann vielleicht …«
Thivts Finger drückten immer noch sacht meinen Arm. Ich spürte die Liebe, die von ihm zu mir herüberfloss. Ich fühlte seine Anteilnahme, fühlte, dass er mich bestärken wollte.
»Du musst nach deiner Überzeugung handeln, Yakoub. Dann gehst du nie in die Irre. Wenn du überzeugt bist, es sei nötig, dass du zu Shandor gehst, dann musst du zu Shandor gehen. Du bist der König. Und du wirst obsiegen.«
Ich wandte ihm das Gesicht zu.
»Meinst du wirklich, Thivt?«
Seine dunklen Augen blickten ernst und ganz tief in mich hinein. Er erschien mir in diesem Augenblick noch rätselhafter und noch unergründbarer als jemals zuvor. Ich überlegte mir, was sich hinter dieser faltenlosen ungetrübten Stirn verbergen mochte, was für ein Gehirn, was für fremdartige Furchungen und Wülste des Denkapparates. Er strahlte Ruhe und Wohlbefinden zu mir herüber. Er strahlte Kraft. Und was immer er sein mochte, gleichgültig, von welcher unbekannten Gattung intelligenter Wesen er abstammen mochte, die sich in Menschengestalt zu kleiden beliebten – er war mein Freund – er war mein Wesensbruder.
»Ja, das meine ich wirklich und wahrhaftig«, sagte er. Und er sagte es auf Romansch.
»Gut. Dann soll es so sein.«
Ich ging um den Kratertrichter wieder zu den anderen zurück. Inzwischen war ihnen die Luft und die Lust ausgegangen, und sie schwiegen mich stumm an.
»Aber das machst du doch nicht wirklich?«, fragte Polarca schließlich.
»Ich bin fest entschlossen.«
»Ja, aber, frag doch wenigstens vorher die phuri dai! «, schrie Valerian. »Um Gottes willen, Yakoub, sie soll entscheiden!«
»Die phuri dai, die phuri dai! « Polarca spielte das Echo.
Und wieder einmal wandten sich alle Bibi Savina zu und umdrängten sie. Klar, alle waren noch immer gegen mich, alle außer Thivt. Sie glaubten noch immer, dass ich den Verstand verloren hätte.
»Sehr gut«, sagte ich und merkte, wie in mir allmählich eine Wut heraufkroch. »Wir werden uns anhören, was die phuri dai sagt. Also, Bibi Savina, sag uns: Was soll ich tun?«
In Bibi Savinas Augen glühte ein unheimliches Feuer. Ihr verschrumpelter ausgemergelter Leib schien von innen heraus zu lodern. Plötzlich schien sie wieder kerzengerade dazustehen, und sie strahlte auf einmal eine Art überwältigender Schönheit aus, die jene vordergründig-hinreißende Schönheit von Syluise bei weitem in den Schatten stellte.
»Du musst nach Galgala gehen, Yakoub«, sprach Bibi Savina mit der unwirklichen Stimme einer in Trance versetzten Person. Einer Stimme, wie ein Orakel sie vielleicht hat. »Tritt hin vor Shandor und erkläre ihm, dass er nicht der König ist! So ist der einzige Weg. Und das ist der Weg, den du gehen musst.«
V. Canción
IM RACHEN DES LÖWEN
Was hatte dieser Prophet getan? Was hat er uns als unsere höchste Pflicht aufgetragen? Er befahl uns, alle Tröstung zurückzuweisen – die Götter, Vaterländer, herkömmlichen Moralvorstellungen und Wahrheiten – und allein und ohne Gefährten, von nichts getragen als von unserer eigenen Kraft, mit der Gestaltung einer Welt zu beginnen, derer wir uns in unseren Herzen nicht zu schämen brauchten. Wo liegt der gefährlichste Weg? Das ist der Weg, den ich gehen will! Wo liegt der Abgrund? Dorthin strebe ich. Worin besteht die höchste Lust des Kühnen? Darin, die völlige Verantwortung zu übernehmen.
N IKOS K AZANTZAKIS
1
Trotz Bibi Savinas Entscheidung gab es noch ein ziemliches Getöse. Zu zweit und zu dritt machten sie sich an mich heran und versuchten mich in meinem
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