Zigeunerstern: Roman (German Edition)
eindrucksvoll. Braucht er auch nicht. Aber – sein Verstand ist außergewöhnlich – von einer phänomenalen Weite und erstaunlicher Einsicht. Bestürzend rasche Erkenntnis von Einzelheiten und Gesamtmuster. Manche Leute sind brillant, wo es um Details geht, andere erkennen besser Zusammenhänge; nur sehr wenige erlangen in beidem Meisterschaft. Ich habe einigen Grund anzunehmen, dass ich einer davon sein könnte. Das dürfte euch bekannt sein. Aber – der Fünfzehnte Kaiser war auch einer von dieser seltenen Art. Seiner klugen Einsicht entging nichts, er hatte für alles Interesse. Wenn er zu einem über die Sternenfahrtslinien sprach, dann war er nicht nur informiert, warum man gerade diese Routen festgelegt hatte, sondern er kannte auch den Namen eines jeden Anflughafens auf den Strecken. Wahrscheinlich hatte er auch noch die jeweilige Bevölkerungsstatistik im Kopf. Ein bemerkenswerter Mann.
Er reicht jetzt dem Lord zu seiner Linken den Herrscherstab. Nimmt dem Lord zu seiner Rechten den Pokal mit süßem Wein aus den Händen, den der Kaiser traditionsgemäß stets dem ihn besuchenden König anbietet. Ich durfte meinen zeremonialen kleinen Schluck trinken. Dann die leise Berührung mit dem Zepter auf meinen Schultern – eine ganz bezaubernde mittelalterliche Schau.
»Yakoub Nirano Rom«, sagt der Kaiser. »Rom baro. Rex Romaniorum.«
Nun war ich zwar gemäß unseres Gesetzes bereits König der Roma, seit die neun Krisatoren des Großen Kris mich mit dem Zeichen des Königtums belegt hatten. Aber nun akzeptierten mich auch die Gaje. Reine Formsache; aber in derartigen Dingen sind Formalien eben entscheidend.
Und nun, da der Kaiser mich ex offico als König bestätigt hat, blickt er mir in die Augen, kneift eines zu und lächelt.
Was für ein wunderbarer Augenblick. Und was für eine hinreißende Geste, dieses Augenzwinkern. Mit diesem einen raschen Blinzeln sagte er mir tausend Dinge. Wir haben dieses Geschäft mit der Herrschaft begriffen, wir zwei, verriet mir dieses kurze Augenzwinkern. Klar. Und wir wissen, was für ein absurder Jux das ist. Ja! Aber wir wissen auch, wie entsetzlich ernst die Sache ist. Ja und Ja. Schön, du bist gewaltig und dunkel. Ich bin klein und blond und hellhäutig. Du bist Rom, und ich bin Gap. Und dennoch sind wir Brüder, du und ich. Sind Brüder durch die Bürde der Krone. Ja. Du und ich, wir sind einander näher, als ich es einem dieser aufgeputzten Pfauenvögel hier, meinen Erzlords bin. Näher, als du es irgendeinem Angehörigen eurer GranKumpania sein kannst. Ja, ach, ja! Ja! JA! – Und von da an bestand zwischen dem Fünfzehnten und mir eine Art unverbrüchlicher Bindung, weil wir unsere gemeinsame Aufgabe erkannt hatten, nämlich die Steuerung der Welten. Es würde fortan unsere gemeinsame Pflicht sein zu verhindern, dass die Himmel zusammenbrechen. Und dies war eine große drückende Last, aber auch eine große Lust.
Und das alles konnte der Fünfzehnte in diesem einen Augenzwinkern ausdrücken. Das, und noch viel mehr!
Und so blieb es danach zwischen ihm und mir während der großen Jahre unserer Herrschaft. Oftmals begab ich mich zu ihm und nahm den Trunk von süßem Wein aus seinen Händen, und wir sprachen die Nächte hindurch über den Lauf der Gestirne auf ihren Bahnen, über die Myriaden von Welten, und wir fällten gewichtige Entscheidungen und wir gestalteten bedeutende Schicksalszusammenhänge neu. Und wenn es der Brauch erforderte, kam er mich in Galgala besuchen – einmal sogar, als ich auf Xamur residierte –, und ich veranstaltete zu seinen Ehren sagenhafte patshivs, Feste von solch grandioser Üppigkeit, dass sie es beinahe mit jenem unseligen Festbankett aufnehmen konnten, das seinerzeit vor langer, langer Zeit Loiza la Vakako auf Nabomba Zom gab. Aber bei unseren Festen gab es keine Pulika Boshengros, um uns die Freude zu verderben. Während der fünfzig Jahre unserer Zusammenarbeit war das Einverständnis zwischen uns von einer heiter-gelösten Zweckbestimmtheit geprägt. Bis es dann mit ihm bergab ging, er in diesen Zustand greisenhafter Erschöpfung zu versinken begann – und mir die Idee des Zigeunersterns über alles andere wichtig wurde. (Aber dafür entschuldige ich mich bei ihm nicht und bei keinem!) Es waren so viele Jahre vergangen, seit ich ihn zuletzt gesehen hatte. Schon seit dem Aufbruch von Mulano hatte ich kaum einen Gedanken an ihn verschwendet. Und nun war er dahin, und mir wurde bewusst, dass ich – soweit es einem Rom
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