Zigeunerstern: Roman (German Edition)
der Firma war? Ich war dabei, als du Esmeralda geheiratet hast, oder? Als sie dir das Brot und das Salz reichten, wer stand da an deiner Seite? Und als Shandor zur Welt kam, wen hast du da gebeten, der Pate zu sein? Und dabei war ich nicht einmal ein Rom, aber du wolltest mich dafür haben, und ich hätte es gern getan, wenn ihr Vater es erlaubt hätte. Hast du denn all das vergessen?«
»Nichts habe ich vergessen«, sagte ich. »Aber davon mal abgesehen, du hast da diese seltsame Loyalitätsbindung an Periandros.«
»Aber gar nicht so seltsam. Wir haben nur gegenseitig Achtung voreinander. Du schätzt den Mann als zu gering ein, weil dir sein akrakianischer Stil nicht so recht angenehm ist.«
»Und er hat dich als König von Frankreich anerkannt, liegt es daran?«
Juliens Wangen röteten sich heftig, und er sah fast aus, als würden ihm gleich die Zornestränen aus den Augen spritzen.
»Was hat das denn damit zu tun?«
»Weißt du, manchmal glaube ich, dass Frankreich für dich wichtiger ist als irgendein Ort im ganzen Universum, den es noch wirklich gibt.«
Mit einiger Mühe gelang es ihm, sich wieder zu beruhigen. »Du wirst wohl nie begreifen, was Frankreich mir bedeutet. Es ist wie dein Zigeunerstern, Yakoub: der eine Ort von Wichtigkeit für dich, dir fortgenommen, die einzige wahre Urmutter. Wieso fällt es ausgerechnet dir so schwer, das zu verstehen?«
Also wusste er etwas über unsere Zigeunersonne, unseren Heimatplaneten? Das bestürzte mich. Ich hatte das nie zuvor von den Lippen eines Gajo gehört. Anscheinend hatte Julien bei den intimen Unterhaltungen seiner Roma-Freunde doch sehr viel genauer zugehört, als es einer unter uns vermutet hätte. Mich beunruhigte es ein wenig, dass er von diesem Geheimnis Kenntnis hatte. Aber ich hatte in diesem Augenblick nicht die Lust, mich damit auseinanderzusetzen.
Zornig sagte ich also: »Aber unseren Zigeunerstern, den gibt es ja noch. Und eines Tages werden wir dorthin zurückkehren. Wohingegen dein Frankreich …«
»Ach, das ist also die Unterscheidung, die du treffen willst, Yakoub? Du willst mir damit sagen, dass deine Wunschvorstellung, deine Hirnphantasie, Wirklichkeit sei, die meinige aber nicht?«
»Wunschvorstellung? Hirnphantasie?«
»Ich ersuche Euch, mon ami, wir wollen doch nicht unsere Diskussion mit unwichtigen Nebensächlichkeiten belasten …«
»Aaach, Ihr glaubt also, unsere Zigeunersonne sei ein Mythos? Ein praktisches Märchen?«
Er fuhr leicht mit den Händen durch die Luft. » N'importe lequel, mon cher. Es spielt überhaupt keine Rolle. Legen wir diesen strittigen Punkt vorläufig beiseite. Vorläufig, lieber Yakoub. Du sagst, meine Loyalitätsbindung an Lord Periandros sei seltsam, stünde irgendwie in einem Zusammenhang damit, dass er meinen Anspruch auf meinen eigenen urvergangenen Königsthron unterstütze. Tatsächlich aber ist ihm mein Herrschaftsanspruch vollkommen unwichtig. Ihm ist nur das Imperium wichtig. Und ich, ich bin ihm gegenüber loyal, um dein Wort zu benutzen, weil ich glaube, er ist der richtige Mann, um zu herrschen. Ganz genau wie ich überzeugt bin, dass du – ja du! – der rechte Mann für die Herrschaft bist, eh, Yakoub? Bien. Also, Schluss mit dem Gerede, mon cher! Und jetzt kommst du aus deinem Kerkerloch heraus. Der Palast steht dir zur Verfügung – dieses euer Haus der Macht. Hiermit übergeben wir es dir wieder. Shandor hat sich verkrümelt. Nimm Platz auf deinem Thron, Majestät, und ich werde zu diesem festlichen Anlass noch einmal ein paar Sächelchen für Euch kochen. Und später, später wünschte ich, du würdest über alles noch einmal nachdenken, worüber wir gesprochen haben. Und dann, das hoffe ich aber stark, kommst du mit mir in die Reichshauptstadt und begrüßt unseren neuen Kaiser. D'accord? Eh? Eh, mon ami? Denk darüber nach, Yakoub! Denk nach!«
3
Diesmal übertraf Julien sich selbst mit seinem Festmahl. Ich wüsste nicht, wo beginnen in der Aufzählung sämtlicher Köstlichkeiten und der Welten, aus denen sie stammten, oder der seltenen Weine, oder der Empfindungen, die dies alles in mir auslöste. Wo immer Julien sich hinbegibt, erfüllt er die umliegenden Dimensionen mit so vielen angehäuften Köstlichkeiten, dass es einem Dutzend Feinschmeckern vor Wonne ganz schwummrig wird, und in dieser Nacht holte er sie allesamt aus seinem Zaubersack hervor. Wäre ich durch Gaumenwonnen allein zu überzeugen gewesen, ich fürchte, ich hätte ohne Gewissensbisse das
Weitere Kostenlose Bücher