Zigeunerstern: Roman (German Edition)
Kerkerhaft besuchte mich Shandor«, sagte ich zu Julien, »und eröffnete mir, er sei in der Hauptstadt gewesen und habe dort die Segnung der Anerkennung erhalten. Vom Kaiser, mit dem Zepter in des Kaisers eigner Hand. Weißt du darüber etwas? Ist es möglich, dass Shandor die Wahrheit sagte?«
» Ah, glaubst du es denn, mon vieux? «
»Er sagte, die Lords Sunteil, Naria und Periandros seien leibhaftig dagewesen, aber der Kaiser persönlich habe das Zepter gehalten.«
»Seine Alte Majestät war während der ganzen Regierungszeit Shandors in tiefen Träumen versunken«, sagte Julien.
»So etwa habe ich mir das vorgestellt.«
»Es war Naria, der das Zepter hielt.«
»Naria?«
»Es erhob sich unter den Hohen Lords ein gewaltiger Streit. Aber Lord Periandros, Yakoub, sprach von Anfang bis zum Schluss der Debatte zu deinen Gunsten. Stets erklärte er Shandor für einen, der sich den Thron erschlichen und keinen legitimen Anspruch auf ihn hat. Sunteil verhielt sich schwankend, einmal war er für Shandor, dann für dich, dann wieder sagte er, es sei keine Angelegenheit des Reiches, wen die Roma sich zum König zu erküren wünschten. Naria plädierte für die sofortige Anerkennung Shandors als Roma-König. Er hat dir stets misstraut, falls du das nicht weißt. Weil du nämlich auf der selben Welt geboren wurdest wie er, und du als ein Sklave, während er aus der Adelskaste stammt. Er ist überzeugt, dass du ihn deswegen hasst, weil du ihn auf irgendeine Weise für schuldig an deinem Sklaventum hältst.«
»Ich bin kein besonderer Freund von Naria«, sagte ich gleichgültig. »Möglicherweise ist seine Theorie nicht ganz unbegründet.«
»Er legte den anderen dar, dass Shandor der Roma-König sein werde, ganz gleichgültig, was das Imperium dazu sage; dass es deshalb einfach vernünftige Politik sei, ihn anzuerkennen, Lord Periandros und dann auch Lord Sunteil wollten das nicht gelten lassen. Und dann, an einem Tag, als Naria wieder einmal an der Reihe war, den Apfel des Universums und der Regentschaft innezuhaben, bestellte er schlichtweg Shandor in die Hauptstadt und legte ihm zeremoniell den Stab der Anerkennung auf die Schultern. Klarer fait accompli, verstehst du?«
»Und die anderen zwei haben es so einfach hingenommen, was Naria da inszenierte?«
Julien wedelte beiläufig ein paar Finger zu der dunklen Imploderbrandwunde an der Wand hin. »Da! Da kannst du es sehen, wie beeindruckt Lord Periandros von Narias Anerkennung Shandors als legitimem Roma-König war. Was Sunteil angeht, der hielt in der Sache mit seiner Meinung hinter dem Berg, wie bei ihm üblich. Aber nun, da Shandor entmachtet ist, wird er wahrscheinlich behaupten, die ganze Zeit auf deiner Seite gewesen zu sein.«
»Ja«, sagte ich, »das sähe Sunteil ähnlich.«
» Et maintenant, mon ami? Was wirst du tun, jetzt, da Shandor niedergeworfen ist?«
»Ich werde in die Hauptstadt gehen«, sagte ich. »Und mit Periandros sprechen.«
»Mit dem Sechzehnten Kaiser, wie wir ihn ja nun titulieren müssen.«
Ich bedachte Julien mit einem langen kühlen und festen Blick. Und dieses Mal erwiderte er ihn, ebenso fest und stetig und ebenso kühl. Ach, mein alter, alter Freund, mein Gajo-Gevatter. Der länger als jeder andere noch lebende Mensch Teil meines Lebens gewesen war, außer Polarca natürlich. Den ich seit hundert Jahren kannte. Und was versuchte er jetzt mir abzuluchsen? Genügte es denn nicht, dass ich mich bereit erklärt hatte, Periandros zu treffen und mit ihm zu verhandeln, als sei er wahrhaftig der Kaiser? Musste er mir denn wirklich den Kaiser gewaltsam in den Hals stopfen?
Aber dann dachte ich: Es kostet mich nichts, wenn ich Periandros mit dem Titel beglücke, solang er die Macht hat, ihn zu tragen. Und für Julien scheint es wichtig zu sein, dass man ihm diese kleine Reverenz erweist. Also schön …
»Ja«, sagte ich, »um mit dem Sechzehnten Kaiser zu sprechen.«
5
Als wir uns anschickten, vom Aureus-Plateau zum Interstellarport Galgala zu fahren, hörte ich ferne Detonationen, und ich sah weiße Rauchschwaden über den östlichen Horizont ziehen. Julien unterrichtete mich, dass die Kämpfe im Hinterland fortdauerten und dass Shandor sich in einem versteckten Kessel in den Chrysoberyll-Bergen eingegraben habe und Widerstand gegen die Streitkräfte des Imperiums leiste.
Einst, vor langer Zeit auf Mulano (mir erschien es wie vor einer Million Jahren), hatte Julien mir warnend gesagt, dass ich mit der Fortsetzung
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