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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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möglicherweise Blut waren. Und trotzdem war es Shandor gelungen zu entkommen. Wie es den Anschein hatte, konnte er sogar ein paar Ritualgegenstände mitnehmen, altehrwürdige Regalien und Emblemata. Ich sah die leeren Stellen. Die Invasionstruppen müssen es ihm also absichtlich ermöglicht haben zu entkommen, dachte ich. Als eine Art Reverenz mir gegenüber. Schließlich, der Kerl war ja immer noch mein Sohn. Überrascht und eingekesselt, wie er war, wäre Shandor niemals dazu fähig gewesen, sich den Weg in die Flucht zu erkämpfen. Ganz besonders nicht, wenn er sich mit der hinderlichen Fracht der Ritualgegenstände beladen hatte. Nein, bestimmt hatten sie ein Auge zugedrückt, in die andere Richtung geschaut und eine Bewegung mit dem Kinn gemacht, er solle weitergehen. Mir zuliebe.
    Ach, ach, da befand ich mich aber in einem ganz gewaltigen Irrtum!
    Ich muss leider eingestehen, dass ich Shandor gegenüber – nun, da er fort war und ich wieder frei – seltsam milde gestimmt war, ja sogar beinahe liebevoll seiner gedachte. Ich weiß, wie kurios sich das anhört, wenn man an Shandors lieblosen und kaum liebenswerten Charakter denkt. Aber – mein Sohn blieb er eben dennoch. Sein Unterfangen, sich der Königsherrschaft zu bemächtigen, war fehlgeschlagen, und er war ein Heimatloser und auf der Flucht. Und ich, ich hatte von ihm ja nichts mehr zu befürchten. Oder? Also konnte ich es mir doch wohl erlauben, die lang unterdrückte Liebe zu ihm an den Tag zu holen und sie auszulüften. Und mein Mitgefühl mit ihm. Wenn einem unter euch das als undurchsichtig und unverständlich erscheint, soll er nicht versuchen, es zu begreifen. Eines Tages wird es ihm nämlich klargemacht werden.
    Ich ertappte mich über dem Gedanken, dass ich ihn mir zurückgewinnen könnte, dass Shandor und ich irgendwie einmal, wie es Sitte ist, beisammensitzen würden, dass ich ihm den Kaffee eingießen würde, oder Wein, und dass wir intelligent über die Entfremdung sprechen könnten, die sich zwischen uns ergeben hatte. Und dann würden wir ›es‹ ausdiskutieren, es vom Tisch fegen, und ich würde ihn mit einem heißen romanschen Kuss liebevoll in die Arme schließen und an die Familienbrust drücken. Ganz so, als wäre er wirklich nur ein zwanzigjähriger Junge, der halt mal ein bisschen über die Stränge geschlagen hat, und nicht ein rücksichtsloser bösartiger alter Mann, der sein ganzes Leben hindurch den Pfad des Bösen eingeschlagen hatte. O ja, ich würde ihn bereitwillig und gern zurückgewinnen! Auf dass er wieder mein wahrer Sohn werde! Ich würde ihn sogar in meine Regierung aufnehmen … dachte ich. Ach, was für wahnwitzige Wunschträume … Aber ein gewisses Recht auf sie hatte ich ja wohl doch. Man kann nicht von mir erwarten, dass ich immer und allezeit hundertundsechsprozentig von dem sogenannten gesunden Menschenverstand bestimmt werde. Schließlich, Shandor war mein Sohn. Er war doch eben mein Sohn, wie immer.
    Und dann, Periandros …
    Was sollte ich mit dem Kerl anfangen?
    Ihn abweisen? Julien sagen, ich könne ihn unmöglich als Kaiser anerkennen? Sunteil oder vielleicht sogar Naria eine Nachricht zukommen lassen, dass ich ihn, beziehungsweise ihn zu unterstützen gedächte?
    Aber, warum? Nur weil ich den Mann nicht mochte? Und mochte ich denn Naria lieber? Sunteil, ja, vielleicht mochte ich den, aber traute ich ihm wirklich? Und was hatten die ehrgeizigen Bestrebungen dieser von Ehrgeiz zerfressenen Gaje-Prinzchen, was hatte ihr Gezänk mit mir zu tun? Wozu sollte ich meine Nase in ihren Bürgerkrieg stecken? Ich war wieder König; und wenn ich dafür Periandros Dank schuldete, schön, dann würde ich mich bedanken. Ich schulde ihm doch wirklich nichts weiter als ein Dankeschön … Aber nun musste ich die Zügel des Königreichs wieder fest in die Hand bekommen, und danach konnte man dann ja gelassen zusehen, wie sich dieses Prioritätsgerangel unter den Erzlords von selbst erledigte. Inzwischen allerdings war Periandros im Besitz der Hauptstadt. Also war Periandros eben Kaiser. Und wenn Sunteil oder Naria damit nicht einverstanden waren, dann sollten sie da gefälligst selber Abhilfe schaffen: Mich ging das nichts an. Als König brauchte ich einen Kaiser, mit dem man politisch handeln konnte, und dieser Kaiser war – momentan – eben Periandros. Und so wollte ich denn – für den gegebenen Moment – ihn als den legitimen Inhaber des Gaje-Thrones gelten lassen.
    Ich schickte nach Julien.
    »Während meiner

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