Zigeunerstern: Roman (German Edition)
auf; Julian rief zurück, um anzufragen, ob ich bereit sei, jetzt schon mit Periandros zu sprechen, obwohl es allerfrühester Morgen war und ich ihm ein weiteres Gespräch für den Mittag versprochen hatte. Aber Periandros wollte nicht bis dahin warten, sagte Julien.
Ich bedachte ihn mit einem langen Blick.
Ich hatte die Antwort gefunden, hier lag des Rätsels Lösung, wieso Sunteil über die Zigeunersonne unterrichtet war.
Julien! Natürlich! Er wusste ja Bescheid darüber. Und ich erinnerte mich daran, was er damals auf Galgala gesagt hatte, als ich von seinem Frankreich als einem nicht-realen, einem utopischen Land gesprochen hatte; er hatte gesagt, Frankreich bedeute ihm das, was der Zigeunerstern uns Roma bedeute, das große verlorene Paradies, die einzige wahre Mutter. Das hatte mich damals verblüfft, denn wir sprechen gewöhnlich mit den Gaje nicht über unseren Zigeunerstern. Aber Julien hatte irgendwie Kenntnis davon erlangt, Gott allein mochte wissen, wie. Vielleicht war es ihm gar nicht besonders schwergefallen, angesichts seines langen meist unter Roma verbrachten Lebens. Ein paar Bouteillen seiner edlen Rotweine, ein langes abendliches Gaumenfest mit erlesenen französischen Speisen, ein befreundeter Sternenkapitän, zu überschwänglicher Mitteilsamkeit verführt, und alles würde ausgeplaudert werden: Der Bericht von der Schwangeren Sonne, der Verlust unserer Heimat, die Zerstreuung in das Große Dunkel, alles, alles andere auch. Ja. Ja. Und Julien hatte dies alles säuberlich archiviert, unsere Legende, unsere Heilslehre, um es im richtigen Augenblick wieder hervorzuholen, und er hatte es an den richtigen Mann verkauft.
Nicht an Periandros, dessen Cerces er sich all die langen Jahre über hatte gefallen lassen. Sondern an Sunteil. Periandros war tot, und Julien wusste es, gleichgültig, wie viele Doppelgänger des verstorbenen Lords noch in den Geheimtresoren bereitstehen mochten. Ein Periandros-Double könnte möglicherweise in dem Dreifronten-Gerangel um die Macht immer noch siegen; allerdings war dies wenig wahrscheinlich, also verlegte Julien nun geschickt seinen Einsatz auf Sunteil. Holte für sich selbst so ganz nebenbei einen kleinen Privatdeal heraus, solange es noch ging. Ich konnte ihm meine Bewunderung dafür nicht versagen. Dennoch, er hätte die Zigeunersonne nicht an Sunteil verkaufen dürfen.
Ich war schon vor langem der angenehmen Versuchung erlegen, in Julien einen Rom – oder doch fast einen Rom – zu sehen; doch er war eben kein Rom. Ganz und gar nicht. Und hier hatte ich den Beweis.
»Der Kaiser wünscht zu wissen«, sagte Julien, »ob der Rom baro inzwischen ausreichend Zeit hatte, über ihre frühere Unterhaltung nachzudenken.«
Am liebsten hätte ich ihn mir aus dem Bildschirm geholt und ihn erwürgt. Mein alter Freund, mein Retter. Aber statt dessen würgte ich jeden diesbezüglichen Impuls ab. Wenn Julien uns verraten hatte, nun dann mussten wir das eben hinnehmen. Ein Gajo ist und bleibt eben ein Gajo, sogar Julien. Mit so etwas musste man bei denen immer rechnen. Und der Schaden war auf jeden Fall angerichtet und nicht rückgängig zu machen. Ich musste jetzt mit anderen Schwierigkeiten fertig werden. Ich wollte ganz und gar nicht mit Julien sprechen. Und mit seinem Chef, dem Stellvertreter-Doppelgänger, gleichfalls nicht.
Also sagte ich Julien, es sei eine turbulente Nacht gewesen und ich hätte keinerlei Möglichkeit gehabt, bezüglich des Periandros-Angebots zu einer Entscheidung zu gelangen. Dabei hoffte ich, Julien würde das schlucken und sich verdrücken, bevor ich mich wirklich in Wut bringen konnte. Er tat es nicht.
»Tausendmal pardon, mon ami, aber der Kaiser verlangt, dass ich nachdrücklich betone, der Zeitfaktor sei von äußerster Wichtigkeit.«
»Das ist mir klar, Julien.«
»Und dass – solltest du nach wie vor willens sein, über die bereits behandelten Punkte weiterzuverhandeln – sich kein günstigerer Zeitpunkt biete als jetzt, um …«
»Julien?«
»Oui, mon vieux?«
»Was soll dieses blöde Spiel? Wir wissen alle beide, dass Periandros tot ist und dass du für einen seiner Doppelgänger verhandelst. Also, warum plagst du dich, mir auf den Nerv zu gehen, jetzt noch, mit dem ganzen Quatsch? Wozu soll das denn dienen, wenn du so tust, als könnte ein Doppelgänger tatsächlich als Kaiser fungieren? Besonders angesichts der Tatsache, dass du dich sowieso bereits anschickst von Bord zu gehen und dich auf Sunteils Seite zu
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