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Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Zigeunerstern: Roman (German Edition)

Titel: Zigeunerstern: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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alten Romansch-Heimat nahekommen konnte, also beschlossen wir, dort zu leben.«
    »Obwohl es da die Gaje bereits gab?«
    » Weil es dort die Gaje bereits gab. Die Gaje waren ihrer Gestalt nach uns Menschen, den Roma, sehr ähnlich, musst du wissen, und das ging sogar so weit, dass die Rassen sich mischen konnten, und das war der Beweis dafür, dass wir Roma dort auf dieser Erde leben und gedeihen konnten. Und so ließen wir uns dort nieder, auf einer größeren unbewohnten Insel, nur unter unsern Leuten, wo uns die Gaje nicht stören konnten; denn die Gaje waren ein ziemlich hinterwäldlerisches, ungeschliffenes und mit Dummheit geschlagenes Volk, und wir wussten natürlich, dass sie uns bedrängen und bedrücken und zu bekriegen versuchen würden, wollten wir es wagen, mitten unter ihnen zu leben. Also nahmen wir uns diese Insel – und dagegen vermochten sie nichts –, und mit der Zeit errichteten wir dort eine Große Stadt und lebten dort beinahe so herrlich und in Freuden wie auf unserem heimatlichen Gestirn; nur in den Nächten, da schauten wir zum Himmel empor, und dort konnten wir noch immer das rote Licht des Sterns der Roma sehen, und dann träumten wir von alledem, was einst unser Besitz gewesen war, und wir versicherten einander, dass wir einmal, an irgendeinem fernen Tage, in unsere eigene angestammte Welt zurückkehren würden, um sie wieder zu dem Paradies zu machen, das sie gewesen war, ehe wir von dort vertrieben wurden.«
    »Was? Die Zigeunersonne war auf einmal wieder rot geworden?«, fragte Chorian.
    »Ja. Genau wie die Weisen es vorhergesagt hatten, so geschah es auch: Unser Muttergestirn war urplötzlich heller geworden und hatte mit einem raschen todbringenden Lichtpeitschenhieb zugeschlagen, und danach war es wieder ruhig geworden und alles war wieder wie zuvor.«
    »Aber trotzdem sind wir nicht nach Hause zurückgekehrt.«
    »Weil es nur die erste Schwangerschaft der Sonne war. Und wir wussten, es würde noch zwei weitere geben.«
    »Und? Gab es die?«
    »Eine«, sagte ich. »Beinahe sechstausend Jahre nach unserem Exodus. Wir sahen es im Himmel – eine gewaltige blauweiße Feuersbrunst im Himmel. Das war zu der Zeit, als Yésusis geboren wurde, der Christós, das Gesalbte Kind, von dem manche sagen, er sei der Gottessohn. Kennst du die Geschichte von den drei Königen, die kamen, um dem neugeborenen Kind-Gott in seiner Krippe ihre Aufwartung zu machen? Ja? Also, einer dieser Könige war ein Rom, und er wusste, dass der Flammenstern, der die Geburt dieses Kindes angekündigt hatte, die Sonne war, die auch uns das Leben gegeben hatte, und dass dies ihr zweites Aufflammen war, ganz so, wie es unsere weisen Frauen und Männer vorausgesagt hatten.«
    Chorian starrte lange stumm zum Himmel. Dann sagte er: »Und die dritte Eruption?«
    »Bald schon«, sagte ich. »In etwa tausend Jahren. Oder in fünfhundert. Vielleicht auch schon morgen. Darauf warten wir doch alle, auf das Zeichen, auf dieses Zeichen, auf diese dritte Schwangerschaft unserer Sonne. Dann endlich wird es für uns Roma sicher sein, in unsere ursprüngliche Heimat zurückzukehren. Das heißt natürlich, sofern euer hochverehrter Herr und Kaiser uns das erlaubt. Das nämlich ist in diesem Universum unsere eine und wichtigste Aufgabe, mein Junge: Dass wir darauf hinarbeiten müssen, unseren Stern wieder in Besitz zu nehmen. Und ich sage dir eines, Kleiner, ich werde den Tag noch erleben.«
    Auf einmal verdüsterte ein hastiger Schatten die weite Dunkelheit und schnitt eine schwarze Schneise mitten durch die Sterne. Für einen Augenblick entschwand der Zigeunerstern unserer Sicht. Ich hörte die dumpfen Rufe des Totenvogels, der soeben über unsere Köpfe weggeflogen war und sich nun auf einem nahen Baum zur Ruhe niederließ. Die gewaltigen schwarzen Schwingen falteten sich um das Totenvogelweibchen wie ein Bahrtuch, und ihre Saphiraugen funkelten in der Finsternis.
    »Mulesko Chiriklo«, sagte ich. »Ein Vogel, der gute Vorzeichen mit sich bringt. Sie zieht hinter den Roma her, von einer Welt zur anderen.«
    Und ich winkte dem Vogel zu und grüßte mit dem Gruß meines Volkes, und die Mulesko Chiriklo antwortete mir mit ihrem gespenstischen Ruf. Ich wusste, was sie mir sagen wollte. Sie sagte, was sie immer und unablässig zu mir sagte. Sie entbot dem König der Roma den Segen und die Segnungen der Nacht und die Hoffnung, auf eine rasche, glatte, geschmeidige Rückkehr in das alte mütterliche Land. Ich warf einen Blick zu Chorian. Er

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