Zigeunerstern: Roman (German Edition)
schien vor Entsetzen ganz außer sich zu sein. Seine Zähne schnatterten, und er stand ganz merkwürdig in sich zusammengekrümmt da, was sich eigentlich für einen jungen und kräftigen Menschen gar nicht gehört.
Ich klopfte ihm fest auf die Schulter.
»Komm jetzt, Junge! Gehen wir hinein, und da wollen wir mal nachschauen, ob noch irgendwo ein anständiger Tropfen Wein übrig ist.«
Aber während wir zu meiner Eisblase zurückgingen, hörte ich das Gelächter von den Gespenstern unseres Volkes im Nachtwind.
11
Nach vier Tagen hatte Chorian seine Peilantenne auf den fernsten Vektor eingestellt, und er musste an die Abreise denken. Er packte die paar Habseligkeiten, die er mitgebracht hatte, möglichst dicht zusammen, und er entfaltete seinen Reisehelm, dieses weiche Gespinst kupferner Maschen, das weggesteckt nicht mehr Platz einnimmt als ein gefaltetes Taschentuch, das ihn jedoch auf seinem einsamen Flug durch die interstellaren Weiten schützen würde.
Kurz bevor er sich den Helm aufsetzte, wandte er sich zu mir, und ich merkte, wie er mit sich kämpfte, um etwas zu sagen, aber er brachte die Worte nicht heraus. Das betrübte mich. Ein Rom sollte sich niemals scheuen, gegenüber einem anderen Rom die Wahrheit seines Herzens auszusprechen.
Ich trat also näher zu ihm und legte ihm die Hände auf die Schultern. Ich musste mich ziemlich strecken, obschon ich nicht gerade klein bin.
»Was hast du, Vetter? Was willst du mir sagen?«
»Dass … dass ich jetzt aufbrechen werde …«
»Das weiß ich, Vetter«, sagte ich sanft.
»Und da wollte ich dir sagen … wollte ich dir nur einfach sagen …«
Er stockte. Ich nahm meine Hände nicht von seinen Schultern und wartete.
»Ich war dir lästig, nicht wahr, Yakoub?«
»Lästig?«
»Ich bin hierher gekommen, wo du ganz für dich allein leben wolltest, und ich bin dir auf die Nerven gegangen mit Sachen, von denen du derzeit nicht belästigt sein wolltest. Und du erträgst mich, weil es Gesetz der Roma ist, dass wir keinen Gast von unserer Tür weisen dürfen, aber innerlich hat es dich zornig gemacht, dass ich hier war.«
»Dinosaurierscheiß«, sagte ich, und ich sagte es mit Nachdruck und in Romansch, was gar nicht leicht war, denn es gibt in unserer Sprache zwar ziemlich viele Wörter für ›Scheiß‹, aber keines, das genau dem Begriff ›Dinosaurier‹ entspräche. Aber ich sagte es jedenfalls, und er verstand mich.
»Das war sehr freundlich, Yakoub.«
»Schluss mit den Vorreden, Junge! Wir sind beide Roma, also sag mir schon, was du auf dem Herzen hast!«
Er schaute zu Boden und scharrte mit der Schuhspitze im frischgefallenen Schnee. Er sah sehr jung aus, wirkte mit jedem Augenblick jünger und jünger. Ich betrachtete ihn und versuchte zu begreifen, wie das ist, wenn man jung ist, versuchte mich zu erinnern, wie das einmal gewesen war. Gerechter Himmel, das war schon so lange her! In jedem Augenblick und für den Augenblick zu leben, noch nicht in Schicht über undurchschaubarer Schicht von Erfahrungen gefangen zu sein! Durchsichtig zu sein, so dass die Knochen durch die Haut leuchten, so dass jede Motivation klar erkennbar dicht unter der Oberfläche liegt! So etwas hatte ich seit hundertfünfzig Jahren nicht verspürt. Vielleicht sogar niemals.
»Diese letzten paar Tage …«, setzte er zum Sprechen an und stockte wieder.
»Ja?«
»Ich habe meinen Vater nie gekannt, Yakoub. Meine Kumpania hat mich verkauft, als ich sieben war.«
»Ich weiß, mein Junge. Und ich weiß, was das einem antut. Ich war auch erst sieben, als man mich das erste Mal verkauft hat.«
»Der Herr Sunteil, also der war auf seine Weise so eine Art Vater für mich. Er ist kein schlechter Mensch, weißt du. Er ist ein Gajo und die Rechte Hand des Kaisers, aber er ist nicht böse, und wenn irgendwer für mich so was wie der Figur eines Vaters nahegekommen ist, dann der Herr Sunteil. Aber es ist eben nicht das gleiche. Er ist nicht von meinem Blut.«
»Ich weiß genau, was du meinst.«
»Und in diesen vergangenen paar Tagen … in diesen wenigen Tagen, Yakoub …«
Er wandte sich ab und starrte nach links über das weite Schneefeld hin, als glaubte er, vor mir seine aufquellenden Tränen verbergen zu müssen, ehe sie ihm über die Lider brachen. Er tat, als spähe er nach der Peilungsaura, aber ich merkte, was wirklich mit ihm war, und es stimmte mich traurig, dass er glaubte, er müsse seine Gefühle vor mir verbergen. Das kommt davon, dachte ich, wenn man
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