Zigeunerstern: Roman (German Edition)
dich einer, sofern du geduldig genug bist und auf deinem Leitstrahl die richtigen Koordinaten gesetzt hast. Und dann packt dich der Greifer, hebt dich rein und bringt dich fort – und verschiebt dich durch diesen oder jenen Behelfsraum, ohne Rücksicht auf Strecken, die deinen Erfordernissen etwa dienen könnten, sondern ganz einfach einem Plan gemäß, der sich nach den zufällig freiwerdenden Löchern im Raum-Zeit-Gitter richtet, auf die man gerade stößt. Und früher oder später – meistens jedoch später – wirst du so behutsam, als wärst du ein Sack voll schmutziger Wäsche, an irgendeinem Relaispunkt auf einer der Imperialen Welten abgesetzt. So zu reisen, das ist ein langsamer und mühseliger und im Grunde entwürdigender – oder demütigender – Prozess, bei dem du jegliche Entscheidung über dein Geschick einer seelenlosen Kraft überantwortest, die nicht nur nicht sämtlichen deiner möglichen Wünsche gegenüber völlig taub und gleichgültig ist, sondern auch noch völlig jenseits deines Begriffsvermögens steht. Stundenlang, tagelang, monatelang, manchmal jahrelang treibst du herum wie ein Kinderspielzeug, verloren in einer endlos weiten See, schwebst im Innern deiner Schutzkapsel und hast keine Möglichkeit, dich zu amüsieren, hast keine Gesellschaft als deine eignen unerbittlich weitertickenden Gedanken; denn dein Metabolismus, dein Stoffwechsel, ist zwar verlangsamt und feiert sozusagen Winterschlaf, während du außerhalb des gewöhnlichen Raum-Zeit-Kontinuums festsitzt, aber dein Gehirn funktioniert glatt weiter, so gut oder schlecht wie zuvor, business as usual. Eine ermüdende, schlauchende, todlangweilige Art des Reisens. He, missversteht mich bitte nicht! Ich habe keineswegs die Absicht, euch was vorzujammern. Es gibt einfach zu viele Welten – und nicht genug Interstellarschiffe, als dass das Reich einen regulären Touristenflugdienst, wie man es sonst gewohnt ist, zu Orten wie Mulano unterhalten könnte. Ich bin ja selbst mit solch einem Relais-Pendler hierher gekommen; und wenn ich merken sollte, dass es Zeit wäre für mich, von hier zu verschwinden, würde ich das auf eben die gleiche Weise tun.
Wie ein braver Soldat stand Chorian hochgereckt und kerzengerade im Lichterspiel der beiden Sonnen. Es kam mir vor wie anderthalb Ewigkeiten, aber er stand bewegungslos. Nach einer Weile kam mir der Gedanke, ob ich vielleicht durch mein Hinstarren auf ihn irgendwie verhindern könnte, dass sein Scannerband ihn aufnahm. Manchmal geht das ja wirklich so. Darum ging ich in meine Eiskugel und machte den bachtalo drom -Zauber für ihn, die Beschwörung, die eine sichere Reise garantiert. Zwar war ich mir nicht sicher, ob es irgendeine Wirkung haben werde, denn Chorian steckte ja in seiner Schutzkugel, und diese Hülle würde möglicherweise nicht einmal unser alter Gute-Reise-Zauber durchdringen können. Aber ein Versuch schadet ja nichts. Der Zauber für eine sichere Reise gehört zu den wirklich echten Zaubern und ist einer der paar, die zuverlässig funktionieren. Er ist nämlich nicht ein einfacher Zauber, wie ihn irgendeine alte drabarni im Mittelalter zusammenhexte: aus dem Badewasser und Sensenblättern und Froschbäuchen; nein, dieser Zauber beruht auf den gewaltigen Kraftlinien, die längs der gekrümmten Achsen des Universums von einem Rand zum anderen verlaufen.
Aber davon einmal ganz abgesehen, ich spann also den Zauber für Chorian; und dann, nehme ich an, bin ich wohl ein bisschen eingenickt; und als ich später wieder vor die Tür trat, um nach ihm zu sehen, war er fort.
Die Sonnen waren bereits im Untergang. Ich sprach ein Gebetchen und wartete auf das Erscheinen des Zigeunersternes.
II. Canción
DAS EINE WORT
Ich war bei Loiza la Vakako, als ein Bote zu ihm trat und ihm berichtete, dass ein gewisser zügelloser Rom aus seiner Familie in Trunkenheit fünf Gaje herausgefordert hatte, ihm über einen Bergpass zu folgen, der nicht breiter war als die Klinge eines Schwertes. Alle sechs Männer waren zu Tode gestürzt, aber der Rom war zuletzt abgestürzt, und diejenigen, die das Geschehnis beobachtet hatten, priesen ihn überschwänglich für seine Tapferkeit.
Loiza la Vakako lachte und sagte: »Manchmal steckt hinter Todesmut nichts weiter als Feigheit vor dem Leben.« Und er erwähnte diesen Mann nie wieder.
1
Einen Tag oder auch zwei nach Chorians Abgang beschloss ich, meine Siebensachen zusammenzupacken und in einen anderen Teil
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