Zigeunerstern: Roman (German Edition)
Tag, denn der Palast war eine Konstruktion aus Schwellstoffen und Gleitverstrebungen und leicht wie ein Spinnengewebe und veränderte sich beständig zu immer neuen und immer bezaubernderen Formen im wachsenden oder schwindenden Licht der heißen blauen Sonne. Hier sollte ich als ein junger Rom-Prinz leben. Ich trug die feinsten Kleider – an jedem Tag ein frisches, neues Gewand –, ich speiste Köstlichkeiten, von deren Existenz ich mir früher nie hätte träumen lassen und wie ich sie wahrscheinlich nie seither wieder kosten durfte. Dort erfuhr ich, was es bedeutet, reich zu sein und Macht zu besitzen, und auch, was für Verpflichtungen dies mit sich bringt. Hier erfuhr ich meine Erstinitiation in die Mysterien des Geistwanderns – und ebenfalls hier lernte ich ein, zwei Dinge über das Wesen der Liebe. Doch die bedeutsamste und größte Lektion, die ich auf Nabomba Zom zu lernen auferlegt erhielt, betraf die Unbeständigkeit aller Größe, aller Lust und aller Behaglichkeit: denn nachdem ich so lange in höchstem Luxus dahingelebt hatte, dass ich derlei für höchst selbstverständlich anzusehen lernte, musste ich erfahren, wie mir eben dies alles in einem Augenblick wieder entrissen wurde; entrissen aber auch dem großmächtigen Herrn Loiza la Vakako … doch das lag damals noch in ferner Zukunft.
9
Er hatte acht Töchter, aber keine Söhne. Nun sind Töchter zwar eine Wonne – ich hatte selbst viele, und es hätten von mir aus noch mehr sein können –, doch die Empfindungen, die ein Mann seinen Söhnen entgegenbringt, sind ganz andere als seine Gefühle für Töchter, und dies hängt damit zusammen, dass es leider eine bittere Tatsache ist, dass wir eines Tages sterben müssen. Sieht ein Mann auf seinen Sohn, so sieht er sozusagen sein Abbild: sich selbst, erneut geboren, verjüngt, seine Reproduktion, seinen Anspruch auf Zukunft. In seinen Söhnen schreitet der Mann weiter voran – in die künftigen Jahrhunderte. Sie tragen seine Züge, haben seine Augen, sein Kinn, seinen Schnurrbart, sein mutiges Herz und seine Mannshoden. Ich liebe meine Töchter aus ganzer Seele, aber keine von ihnen kann mir das geben, was ein Sohn mir schenken kann, dieses ganz besondere Geschenk; und deshalb besteht da eben ein Unterschied, und jeder Mann, der behauptet, das sei nicht der Fall, belügt euch oder sich selbst oder beide. Zumindest ist dies so bei uns Roma und war so seit dem Anfang aller Zeiten. Vielleicht ist es bei den Gaje anders, das entzieht sich meiner Kenntnis, und es interessiert mich auch nicht besonders.
Ich würde dem normalerweise nicht so breiten Raum beimessen, doch wenn ein Mann dermaßen mächtig ist wie Loiza la Vakako, und er hat keinen Sohn, und er nimmt einen unbekannten mistbekleckerten kleinen Jungen in sein Haus auf, damit er bei ihm lebe, könnte man darin schon etwas Bedeutsames sehen. Sechs seiner Töchter waren verheiratet und lebten in fernen Gegenden von Nabomba Zom oder auf den größeren Monden. Ihre Ehemänner behandelte er als Prinzen, aber nicht als Söhne, glaube ich. Eine siebente Tochter – Malilini – lebte noch bei ihm in seinem Palast. Über die achte Tochter wurde nie gesprochen, obschon ihr Bild neben den anderen sieben im Großen Saal hing; sie hatte sich vor langer Zeit mit ihrem Vater zerstritten (weswegen werde ich wohl nie erfahren) und dann ihren Wohnsitz in irgendeinem fernen Winkel der Galaxis genommen.
Loiza la Vakako hatte noch einen Bruder, der über zwei der äußeren und weniger gesegneten Welten dieses Planetensystems herrschte. Sein Name lautete Pulika Boshengro, und Loiza la Vakako sprach nur selten von ihm, obwohl auch er in der Galerie der Familienporträts hing: ein düsterer Mann mit schmaler Stirn und einem langen strengen Gesicht. Auf dem Bild sah er Loiza la Vakako so wenig ähnlich, dass ich kaum glauben mochte, sie seien aus dem selben Mutterleib gekrochen; aber als ich ihn schließlich viele Jahre später traf, erkannte ich die Ähnlichkeit sogleich: in den Knochen unter der Haut, in der Seele, im Blick der Augen.
So großartig sein Palast war, Loiza la Vakako gönnte sich erstaunlich wenig Zeit, sich daran zu erfreuen. Selbst in diesem gesetzten, nachdenklichen Mann war die Ruhelosigkeit der Roma ein vorherrschender Charakterzug. Er war beständig unterwegs, auf immer neuen Inspektionsreisen durch seinen weitverzweigten Besitz. Er musste stets wissen, was sich überall ereignete. Obschon alle die Oberaufseher auf seinen
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