Zigeunerstern: Roman (German Edition)
könnte mir mühelos acht bis zehn weit weniger ergötzliche Tätigkeiten und Berufe vorstellen, obwohl ich euch das doch lieber erspare. In bemerkenswert kurzer Zeit dachte ich überhaupt nicht mehr daran, von welcher Konsistenz das Produkt war, mit dem ich umzugehen hatte, und konzentrierte mich ausschließlich nur noch darauf, da draußen auf dem Scheißeschlachtfeld zu überleben. (Es war nämlich nicht so ganz ohne Risiko, weil das Schnauben und Fauchen der Schneckenmännchen, hinter denen man herzog, die Geräusche jeder anderen Schnecke in der Nähe übertönte, so dass es nur allzu leicht geschehen konnte, dass man von einem dieser massiven riesigen Wandelberge zermalmt wurde, der sich hinter einem heranwälzte, während man alle seine Aufmerksamkeit konzentriert auf die vor einem dahinkriechende Schnecke gerichtet hatte.)
Nabomba Zom ist eine jener Welten ohne Jahreszeiten. Die Tage und Nächte sind exakt genau gleich lang, und das Wetter ist das ganze Jahr über gleichmäßig angenehm. Deshalb ist es also nur eine Vermutung, wenn ich sage, dass ich sechs Monate lang auf der Schneckenscheiße-Plantage verbrachte. Diese Monate brachten mir den Stimmbruch und die ersten sprießenden Barthaare. Und eines Tages gab es am andern Ende der Pflanzung eine gewaltige Aufregung: Geschrei, Autos, hin- und herrennende Leute. Ich überlegte mir schon, ob vielleicht ein unachtsamer Idiot von einer Schnecke plattgewalzt worden war. Dann kam der Summer des Vorarbeiters in meinen Kopfhörern und der Befehl, mich augenblicklich zum Plantagehaupthaus in Bewegung zu setzen.
Wie das Leben so spielt, war mir gerade kurz davor ein kleiner Unfall zugestoßen. Das Schneckenmännchen, hinter dem ich herzog, war urplötzlich ganz groß in Fahrt geraten, und bei meinen Bemühungen, an seinen Kotbällen zu bleiben, war ich auf einem Polster des rotschuppigen Mooses ausgerutscht und bäuchlings in einen Dunghügel vom Ausmaß eines kleineren Asteroiden geschlittert.
»Ich muss mich zuerst waschen«, erklärte ich dem Vorarbeiter. »Ich bin von oben bis unten voller …«
»Sofort!«, sagte der Mann.
»Aber ich bin …«
»Sofort!«
Man führte mich einem Mann von bestürzend überzeugender Kraft und persönlicher Ausstrahlung vor, der vielleicht fünfzig Jahre alt war, oder auch achtzig – oder einhundertfünfzig. Ich habe das nie erfahren, und in den Jahren, die ich mit ihm lebte, schien er niemals auch nur einen Tag älter zu werden. Für einen Rom war er schlank, beinahe zierlich; er hatte eine schmale hohle Brust und hängende nach vorn gebogene Schultern. Und er hatte keinen Lippenbart. Im linken Ohr trug er zwei Silberringe, ein alter Brauch, der zu jener Zeit gerade wieder unter uns Mode wurde. In seinem Gesicht konnte man eine wunderschöne abwägende Gewitztheit sehen: ein kurzes verstohlenes Lächeln, nur ein leichtes Verziehen der Wangenmuskulatur, mehr nicht, das einen möglichen Widersacher zur Vorsicht mahnte. Gewiss nicht ein Mann, den du in einem Geschäft zu übervorteilen versuchen würdest. Wollte ich sagen, er sah blitzgescheit aus, so wäre das, als wollte ich euch erklären, dass das Wasser ›nass‹ aussieht. Seine Augen waren wild und durchdringend scharf. Unter ihnen fühlte ich mich durchsichtig, als könnte er mir bis in die Eingeweide und bis auf die Knochen schauen. Und während ich da in all meiner Verdrecktheit und ganz von Schneckenexkrementen bedeckt und verklebt vor diesem erschreckenden königlichen Mann stand, streckte er die Hand aus und zeigte auf mich.
»Näher!«
»Herr, ich …«
»Tritt näher, Junge! Wie ist dein Name?«
»Yakoub. Mein Vater ist Romano Nirano von Vietoris.«
»Romano Nirano, aha?« Er wirkte beeindruckt, oder jedenfalls schien es mir so. »Wie alt bist du?«
»Fast dreizehn. Glaube ich.«
»Aha, glaubst du. Entflohener Sklave, oder?«
»Ein Fahrender, Herr.«
»Aha. Ein Fahrender, natürlich. Ein Reisender auf der Großen Bildungstour durch das Universum, erste Station: die weltberühmten Schneckenhonigfarmen von Nabomba Zom. Was bist du, ein Kalderash-Rom?«
»Ja, Herr.«
»Und kannst du gut mit Maschinen umgehen, wie man das den Kalderashi nachsagt?«
»Mein Vater ist der größte Mechaniker in der Sternenschiffwerft von Vietorion.«
»So, dein Vater ist das. Aha.« Er nickte und überlegte einen Augenblick lang. Dann wandte er sich um und machte eine Geste, winkend, befehlend, zu einem anderen Gemach hin. »Malilini? Ist er das, den du gemeint
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