Zikadenkönigin
nicht, daß jemand versucht, mich zu orten, solange der Schlüssel defekt ist. Das wäre sehr unhöflich.«
»Ich bin immer noch dagegen, das Flugzeug zu stehlen«, erwiderte ich. »Wir haben unsere Rivalen in aller Öffentlichkeit blamiert. Das muß genügen. Wir brauchen nicht gleich hochdramatisch zu werden.«
»Seien Sie nicht zimperlich, Manfred«, wies Darrow mich zurecht. »Hochdramatisch zu sein, ist die einzig wahre Lebensform.«
Jetzt frage ich Dich, mein lieber MacLuhan: Wer könnte einer solchen Geste widerstehen?
Der Nachmittag schleppte sich dahin. Als die eigentliche Feier begann, wurde Wein serviert. Ich war nervös, deshalb ließ ich mir ein Glas geben. Doch schon nach wenigen Schlucken bereute ich es und stellte es fort. Alkohol ist eine solch harte Droge. Unvorstellbar, daß die Menschen ihn faß- und flaschenweise zu trinken pflegten!
Die Dämmerung brach an. Immer noch keine Spur von Darrow, obwohl ich unablässig den Himmel nach ihm absuchte. Als sich die Vorbereitungen für das Freiluftbankett dem Ende näherten, trafen die Helikopter der Firma Hillis ein und spuckten ihre Fracht von alternden Bonzen aus. Nicht zuletzt war dies eine Firmenfeier, und ganze Horden von Pensionären und Pionieren des kybernetischen Zeitalters schwärmten herbei, um Hillis ihre Aufwartung zu machen.
Da ihnen jedoch unser gesellschaftlicher Schliff und unsere Nonchalance fehlen, fielen ihre Ehrenbezeigungen entsprechend hektisch und gezwungen aus. Sie haben den Anschluß an die Moderne einfach verpaßt.
Sie verschlingen Berge von angesengtem Fleisch, trinken viel zuviel hochprozentigen Alkohol und hören sich Reden an … später prüfen sie ihre Herzschrittmacher und lassen sich wieder heimfliegen.
Eine gespenstische Atmosphäre aus erdrückendem Mief und spießiger Langeweile senkte sich über die Kuppel und ihre Umgebung. Leona und ihre junge elegante Clique befanden sich bald in der Minderzahl. Von allen Seiten bedrängt, rückten wir eng zusammen wie eine Schar Paradiesvögel, die sich von Stegosauriern eingekreist sieht.
Nach einer kurzen Verzögerung lief ein Film über Dr. Hillis' Leben und Wirken ab. Wir sahen ihn auf dem Großschirm im Steingarten. Höflich schweigend ließen wir die Vorstellung über uns ergehen. Es waren die altbekannten Szenen, die zum Legendenschatz unseres Jahrhunderts gehören.
Der junge Hillis als Student, wie er über die Erkenntnisse des Marvin Minsky und anderer kognitiven Psychologen nachgrübelt. Hillis in Tsubuka Science City, als Initiator des Projekts Die Sechste Generation. Hillis, der geniale Visionär, der in Singapur ein Werk gründet, in dem Silikon zu Gold verwandelt wird.
Danach Beispiele, wie sich ein wahres Füllhorn an Schätzen und Reichtümern über die Menschheit ergießt, als Folge der künstlich erzeugten Intelligenz. Man vergißt ja so leicht, MacLuhan, daß es einmal eine Zeit gab, da die Fähigkeit zum Denken nicht durch Drähte geleitet wurde wie elektrischer Strom. Als mit ›Fabrik‹ noch ein Ort gemeint war, in dem Menschen im ›Blaumann‹ zu arbeiten pflegten.
Natürlich ist Hillis nur einer von vielen technischen Pionieren. Doch als Nobelpreisträger und Autor des Werkes Die Möglichkeiten synthetischer Vervielfältigung strukturierter Intelligenz stellte er für die Industrie immer so etwas wie eine Galionsfigur dar. Nicht nur das – er verkörpert die gesamte Epoche. Es gab eine Zeit, ehe er der modernen Welt den Rücken kehrte, da sprach man den Namen Hillis im gleichen Atemzug wie die von Edison, Watt und Marconi aus.
Auf eine gewisse Art war der Film nicht einmal schlecht. Natürlich verriet er nicht die ganze Wahrheit. Hillis' bedauerlichen Ausflug in die Politik der vierziger Jahre unterschlug er verschämt, kein Wort über den EEC-Bestechungsskandal und die bizarre Episode im Raumfahrtzentrum von Tyuratam.
Aber diese Dinge kann man überall nachlesen. Ich gestehe, daß ich den Hinweis auf jene glanzvollen Tage vermißte, die wir rückblickend als das letzte Aufflackern der westlichen Analysemethoden interpretierten. Keine einzige Einstellung zeigte die verlorenen Bataillone von Wissenschaftlern, Technikern und Ingenieuren.
Natürlich mutet uns heute diese einseitige Betonung des rationalen Denkens starr und veraltet an. Gewiß, der maschinellen Intelligenz sind Grenzen gesetzt; sie kennt nicht jene spontanen Geistesblitze einzelner Menschen, die früher einmal die Wissenschaft in Schüben vorantrieben. Wissenschaftlicher
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