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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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Fortschritt ist heute mit dem methodischen Kriechen eines Roboters zu vergleichen.
    Aber was soll's? Endlich leben wir in einer stabilen globalen Gesellschaft, die den höheren Empfindungen der Menschen Rechnung trägt. In einer Welt der Fülle, des Friedens und der Muße, wo das Schöne und das Erhabene den Wertmaßstab bestimmen.
    Wenn dieser Film in mir Widerwillen erregte, dann nur weil mein Geschmack durch unsere moderne Form von Werbung und Propaganda geprägt ist. Öffentlichkeitsarbeit ist eine sanfte intuitive Kunst – das dunkle Yin im Gegensatz zu dem hellen klaren Yang der wissenschaftlichen Methodik. Eine mächtige Kunst, die, ob wir es nun wollen oder nicht, das Bild der modernen Zeit formt.
    Beim zweiten Gang, zwischen Suppe und Fisch, erspähte ich endlich Darrow. In einem steilen Bogen stieg die Libelle aus den Tiefen des Cañons auf, gegen den dämmrigen Horizont erkannte man, wie die vier Flügel heftig wirbelten. Seltsamerweise mußte ich zuerst nicht an einen tollkühnen Piloten, sondern an einen vergifteten Käfer denken. Im Handumdrehen war die Maschine wieder verschwunden.
    Ich war wohl blaß geworden, denn ich merkte, wie Mari Kuniyoshi mich mit eigenartigen Blicken musterte. Ich hielt jedoch den Mund.
    Krokodil Nr. 2 betrat das Podium. Dieser Herr war ein weiteres Fossil aus einer längst vergangenen Epoche. Beim Militär hatte er einmal eine hohe Stelle bekleidet, ich glaube, man nannte es damals ›Stabschef im Pentagon‹. Jetzt fungierte er in Hillis' Betrieb als ›Sicherheitschef‹, als ob man heutzutage so etwas noch nötig hätte.
    Er hatte offensichtlich viel getrunken. Er leierte eine lange weinerliche Lobrede auf Hillis herunter, faselte etwas von ›Luftwaffe‹ und ›Raumflughafen‹ und Hillis' Beitrag zur ›Verteidigungsindustrie‹. Mir fiel auf, daß Fred Solokov, der mit Frack und Fliege ungemein schick wirkte, immer beleidigter dreinblickte. Wer konnte es ihm verübeln?
    Zum Schluß erklomm Hillis das Podium, mit Hilfe eines Gehstocks hielt er sich aufrecht. Er erhielt brausenden Beifall; wir alle waren froh, daß Krokodil Nr. 2 endlich abtrat. Es kommt nicht oft vor, daß jemand die Geschmacklosigkeit besitzt, in der Öffentlichkeit Atomwaffen zu erwähnen. Als spürte er die nervöse Gereiztheit unseres sowjetischen Freundes, wich Hillis von seiner vorbereiteten Rede ab und begann über sein ›jüngstes Projekt‹ zu schwafeln.
    Mein lieber MacLuhan, stell Dir die exquisite Peinlichkeit dieses Augenblicks vor. Denn während Hillis sprach, tauchte sein ›jüngstes Projekt‹ am Rande des Camps auf. Darrow hatte die Maschine unter Kontrolle. Einen Aufwind aus der Tiefe der Schlucht nutzend, hatte er genügend Auftrieb, um uns flügelschlagend zu umkreisen. Die Gäste begannen zu murmeln, ausgestreckte Arme deuteten nach oben.
    Hillis, kein begnadeter Redner, bemerkte den Vorfall wohl als letzter. Unentwegt schwatzte er etwas von einem ›heroischen Piloten‹ und daß seine Libelle schneller fliegen lernte, ›als wir ahnten‹.
    Das Publikum glaubte, Hillis erlaube sich einen hintergründigen Scherz, und lachte. Die meisten Gäste hielten es für einen besonders cleveren Werbegag. Unterdessen war Darrow näher an uns herangeschwebt. Sein Instinkt als Fotomodell sagte ihm, daß er die Attraktion des Abends war; deswegen zog er eine Show ab.
    In angemessenem Abstand von der Menge ließ er das Gerät auf der Stelle schweben. Die Flügel summten hörbar, die transparenten Spitzen beschrieben komplizierte Kreise und Muster. Langsam flog er rückwärts, während das langgezogene schwanzartige Heck bedrohlich wippte.
    Die Leute staunten; Hochrufe wurden laut. Mit tief gerunzelter Stirn fixierte Hillis seine Gäste, während sein Geleiere im allgemeinen Stimmengewirr unterging. Als er dann endlich begriff, was geschah, stieß er einen dumpfen Schrei aus. Krokodil Nr. 2 nahm ihn am Arm, und Hillis fiel taumelnd in den bereitstehenden Rollstuhl.
    Mit aschfahlem Gesicht erkletterte Dr. Somps das Podium. »Stoppt diesen Mann!« kreischte er, während er heftig gestikulierend auf die Libelle zeigte.
    Dies erzeugte wahre Lachstürme, die beinahe in Hysterie umschlugen, als Darrow nämlich ins Trudeln geriet und die Maschine erst im letzten Moment hochreißen konnte. Die flatternden Schwingen wirbelten Staub auf, der sich in dichten Wolken über die Menge legte.
    Kreischend sprangen die Gäste von ihren Stühlen und suchten Deckung. Darrow kämpfte um jeden Zoll Höhe, die Flügel

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