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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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damals überall hören. ›Rühmt den Kaiser, verjagt die Fremden!‹ Wir wollten, daß der Kaiser die vollständige Macht zurückerhält! Wir verlangten es laut, auf den Straßen! Denn die Schergen des Shogun zitterten wie ängstliche alte Frauen. Sie fürchteten sich vor den schwarzen Schiffen, vor den schwarzen Kriegsschiffen der Amerikaner, ihren Dampfmaschinen und Kanonen. Vor den Schiffen Admiral Perrys.«
    »Der Name wird ausgesprochen wie ›Peruri‹«, berichtigte Encho freundlich.
    »Nun gut, Peruri … Ich muß zugeben, wir Shishi gingen damals ein wenig zu weit. Wir hatten einige üble Angewohnheiten. Zum Beispiel drohten wir den Städtern damit, Harakiri zu begehen, wenn sie uns nichts zu essen gaben. Zu solchen Problemen kam es, weil wir kein Geld nahmen. Einige der Ladenbesitzer sind noch immer wütend auf uns, weil wir sie damals auf diese Weise unter Druck setzten. Und das war auch der Grund für die Schlägerei heute abend, Encho. Manche Leute scheinen nicht vergessen zu können.«
    »Oh, jetzt verstehe ich«, sagte Encho.
    »Es waren besondere Zeiten«, fügte Onogawa hinzu, »sie veränderten mich, veränderten alles. Ich schätze, Leute wie wir wissen noch, wo sie waren und was sie taten, als die Ausländer die Bucht von Edo erreichten.«
    »Ich erinnere mich daran«, sagte Yoshitoshi. »Ich war damals vierzehn und arbeitete als Lehrling bei Kuniyoshi. Ich hatte gerade meinen ersten Druck fertiggestellt: Der Heikla-Clan und sein schreckliches Ende auf dem Meer.«
    »Ich habe sie einmal beim Tanz beobachtet«, bemerkte Encho. »Die amerikanischen Seeleute, meine ich.«
    »Wirklich?« fragte Onogawa.
    Encho nickte, gestikulierte bedeutsam und fuhr im Tonfall eines erfahrenen Geschichtenerzählers fort: »Ja, mein Vater Entaro nahm mich mit. Eigentlich durften nur die Gesandten des Shogun und ihre Freunde zugegen sein, aber wir schlichen uns an den Wächtern vorbei. Die Ausländer schienen sich ihrer Blässe zu schämen, denn sie bemalten sich die Hände und Gesichter mit schwarzer Farbe und schmückten ihre Wangen mit weißen Strichen. Anschließend nahmen sie alle in einer Reihe Platz, standen nacheinander auf und hielten kurze Vorträge. Ein anderer Fremder antwortete, und es folgte allgemeines Gelächter. Später holten zwei von ihnen sonderbar anmutende Musikinstrumente hervor, die runden Samisen ähnelten, die mit langen abgeflachten Stangen verbunden waren. Und mit schrillen Stimmen sangen sie traurige Lieder. Nach einer Weile wurde die Musik fröhlicher, und die Fremden sprangen umher und tanzten. Immer wieder streckten sie die Beine und drehten sich. Einige der Botschafter des Shogun gesellten sich ihnen hinzu.« Encho zuckte mit den Schultern. »Es war alles sehr eigentümlich. Noch heute frage ich mich, was es zu bedeuten hatte.«
    »Nun«, meinte Onogawa, »die Erklärung liegt auf der Hand: Ganz offensichtlich ging es ihnen darum, sich zu tarnen, Aussehen und Gestalt zu verändern.«
    »Ebensogut könnte man behaupten, es seien Magier«, erwiderte Encho und schüttelte den Kopf. »Sie haben zwar lange Nasen, aber das bedeutet nicht, daß sie Bergkobolde sind. Es handelt sich um Menschen, um gewöhnliche Männer: Sie essen, schlafen und vergnügen sich mit Frauen. Frag die Geishas in Yokohama, wenn du mir nicht glaubst.« Encho grinste. »Ihre eigentliche Macht gründet sich auf Kupferdrähte, schwarzen Stahl und glühende Kohlen. Auf Dinge wie die Eisenbahnstrecke zwischen Tokio und Yokohama, die die Engländer in unserem Auftrag bauten. Bist du schon einmal in einem solchen Zug unterwegs gewesen?«
    »Natürlich!« bestätigte Onogawa stolz. »Schließlich bin ich modern eingestellt.«
    »Derartige Macht brauchen wir heute. Zivilisation und Erleuchtung. Als du im Zug warst … hast du da gesehen, wie die Bewohner Omoris herbeieilten und Wasser auf die Lokomotive gossen? Um sie abzukühlen – so als sei sie ein müdes Pferd!« Er schnalzte verächtlich mit der Zunge.
    Onogawa ließ sich erneut seinen Becher füllen. »Sie schütten also Wasser auf die Lokomotive«, stellte er gelassen fest. »Na und? Damit richten sie doch keinen Schaden an.«
    »Es ist reiner Aberglaube!« entfuhr es Encho. »Verstehst du denn nicht: Wir müssen lernen, mit den Maschinengeistern ebensogut umzugehen wie die Ausländer. Gewiß sind sie beleidigt, wenn man sie wie Pferde behandelt. Stimmt's, Taiso?«
    Yoshitoshi sah von seiner neuesten Arbeit auf und zwinkerte verwirrt und ein wenig schuldbewußt.» Ich

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