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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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bitte um Verzeihung, Encho-san. Was sagtest du gerade?«
    »Worin besteht dein jüngstes Werk? Darf ich es mir ansehen?« Encho schob sich näher an den Tisch heran.
    Hastig entfernte Yoshitoshi die Reißzwecken und rollte das Papier zusammen. »O nein, nein, ich kann es dir noch nicht zeigen, erst dann, wenn es fertig ist. Sieh dir statt dessen das hier an …« Er streckte die Hand nach einem nahen Stapel aus und zog geschickt eine Rolle daraus hervor. »Dieses Werk gehört zu einer Serie, die ich Schönheiten der Sieben Nächte nenne.«
    Encho hielt den Druck so, daß auch Onogawa das Bild betrachten konnte. Es zeigte eine Frau, die nur ihre Unterwäsche trug. Ihr mit scharlachroten Blumenmustern geschmückter Kimono hing über einem nahen Wandschirm. Sie hatte sowohl natürliche als auch künstliche Brauen, was ihre hohe Stirn betonte und sie besonders reizvoll wirken ließ. Ihr langes pechschwarzes Haar wies im Nacken einige kleine Locken auf. Die Frau stand in der Tür eines Zimmers, in der ein glücklicher Mann auf sie zu warten schien, und sie hatte sich vorgebeugt, um das Licht einer im Flur hängenden Laterne zu löschen. In der einen Hand hielt sie eine kleine Rolle mit Papiertaschentüchern.
    »Ich hab's!« sagte Onogawa. »Jene wunderschöne Geisha löscht das Licht, um anschließend im Dunkeln zu einem Mann ins Bett zu kriechen. Und die Papiertaschentücher nimmt sie mit, um nach den erotischen Spielchen sowohl sich selbst als auch ihren Partner zu reinigen.«
    Encho starrte nach wie vor auf das Bild und runzelte die Stirn. »Einen Augenblick«, sagte er. »Hier unten steht: ›Ihre Ladyschaft Yanagihara Aiko‹. Die Frau ist eine kaiserliche Hofdame!«
    »Die Idee stammt von einigen meiner Freunde bei der Zeitung«, warf Yoshitoshi ein und nickte. »Warum soll man bei solchen Drucken immer nur alte Männer, Soldaten und Geishas zeigen? Das wird schnell langweilig. Außerdem leben wir doch in einem modernen Zeitalter!«
    »Aber dieses Werk, Taiso … Es deutet an, daß der Kaiser mit seinen Hofdamen schläft.«
    »Nein, nur mit Lady Yanagihara Aiko«, widersprach Yoshitoshi ruhig. »Außerdem ist allgemein bekannt, daß er ein Auge auf sie geworfen hat. Die anderen Sieben Schönheiten des Kaiserlichen Hofes stelle ich dar, wie … wie sie sich gerade schmücken … oder Blumen binden.« Er lächelte. »Ich hoffe, daß sich diese Serie gut verkauft. Sie ist ziemlich aktuell, nicht wahr?«
    Onogawa war schockiert. »Damit fordern Sie nachgerade einen Skandal heraus! Ach, was ist nur aus der guten alten Zeit geworden, aus den prächtigen Blutspritzereien.«
    »Für solche Bilder interessiert sich niemand mehr«, hielt ihm Yoshitoshi entgegen. »Glauben Sie mir, ich habe alles versucht! Ich schuf ein Werk mit dem Titel: Yoshitoshis Sammlung literarischer Gestalten. Eine Prachtausgabe, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten – weit und breit die besten Zeichnungen berühmter Helden. Aber sie verstaubten in den Regalen. Dann widmete ich mich der Serie Bezaubernde Schönheiten in den Restaurants von Tokio. Es waren wirklich außergewöhnlich schöne Frauen, aber ich benutzte den alten Geishastil, und das erwies sich als ein Fehler. Reine Zeitverschwendung, meine Herren. Und die Folge war eine katastrophale Pleite – wir bekamen nicht eine einzige Kupfermünze! Ich mußte die Dielenbretter als Feuerholz verwenden! Ich sah mich dazu gezwungen, Druckmuster für Baumwolltücher zu entwerfen – zwei Yen für die Arbeit einer ganzen Woche! Meine Frau verließ mich! Meine Lehrlinge machten sich auf und davon! Und dann ging es mit meiner Gesundheit bergab … mein Gehirn … ich hatte nichts mehr zu essen … überhaupt nichts … Aber … nun, jetzt ist das alles überstanden.«
    Yoshitoshi schauderte und wischte sich den Schweiß von der Oberlippe. Anschließend schenkte er mit einer nur ganz leicht zitternden Hand Bourbon nach. »Ich mußte mich den veränderten Zeiten anpassen, das ist alles. Es war sehr schwierig, aber inzwischen habe ich meine Lektion gelernt. Heute nenne ich mich Taiso, was ›Große Wiedergeburt‹ bedeutet. Zeitungen! Das ist heute der letzte Schrei! Die Tokyo Illustrated News bezahlt eine Menge für politische Karikaturen und Mordszenen. Zehntausend Ausgaben werden davon gedruckt, auf einen Schlag. Meine Arbeit wird jetzt überall bekannt – nicht nur in Edo, sondern im ganzen Land. Im ganzen Land, meinen Herren!« Er hob seinen Becher und trank. »Und das ist nur der Anfang. Die Lamp of

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