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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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zusammengekniffenen Augen blickten wachsam, und die streichholzgroßen Rippen bewegten sich bei jedem Atemzug auf und nieder. Es hatte riesige Pupillen. Spider Rose stellte sich vor, daß es das Licht wahrscheinlich sehr trüb fand. In Investiererschiffen brannten gleißende, blaue Bogenlampen mit starken Ultraviolettanteilen.
    »Wir müssen einen neuen Namen für dich finden«, sagte Spider Rose. »Ich spreche nicht Investor, deshalb kann ich den Namen nicht benutzen, den sie dir gegeben haben.«
    Das Maskottchen starrte sie freundlich an und hob kleine, halb durchsichtige Klappen über die winzigen Ohrlöcher. Investierer hatten diese Klappen nicht, und sie war durch diese Abweichung von der Norm eher bezaubert. Abgesehen von den Flügeln sah das Wesen aus wie ein viel zu kleingeratener Investierer. Der Effekt war beängstigend.
    »Ich werde dich Teddy nennen«, sagte sie. Das Tier hatte keinen Pelz. Es war ein Privatwitz, aber alle ihre Witze waren privat.
    Das Maskottchen hüpfte über den Boden. Die durch die Rotation erzeugte künstliche Schwerkraft war hier schwächer, sie lag unter den 1.3 ge, die auf den Investiererschiffen herrschten. Das Wesen umarmte ihr nacktes Bein und beleckte mit einer rauhen Sandpapierzunge ihre Kniescheibe. Sie lachte, etwas beunruhigt, aber sie wußte, daß die Investierer strikt nicht-aggressiv waren. Ihre Haustiere waren keinesfalls gefährlich.
    Das Wesen zirpte aufgeregt und kletterte auf ihren Kopf, wo es mit beiden Händen die glitzernden Glasfasern packte. Sie setzte sich vor ihre Datenkonsole und rief die Anweisungen für die Pflege und Ernährung des Wesens ab. Die Investierer hatten sicher nicht damit gerechnet, daß sie ihr Haustier eintauschen mußten, denn die Instruktionen waren fast unlesbar. Sie klangen wie die zweite und dritte Übersetzung aus einer Sprache von noch fremdartigeren Wesen. Doch der Investierertradition entsprechend waren die rein pragmatischen Hinweise besonders hervorgehoben.
    Spider Rose entspannte sich. Anscheinend fraß das Maskottchen fast alles, wenn es auch rechtsdrehende Proteine vorzog und gewisse leicht zu beschaffende mineralische Spurenelemente brauchte. Es war Giften gegenüber extrem widerstandsfähig und hatte keine eigene Darmflora. (Die hatten die Investierer selbst auch nicht; sie betrachteten Rassen, die eine Darmflora besaßen, als eine Art Wilde.)
    Sie las die Anweisungen über die Atemluft durch, als das Maskottchen von ihrem Kopf sprang und über die Kontrolltafel hüpfte, wobei es fast das Programm abgebrochen hätte. Sie scheuchte das Tier herunter und suchte zwischen dem Wust fremdartiger Schriftzeichen und verstümmelter technischer Anweisungen nach etwas, das sie verstehen konnte. Plötzlich bemerkte sie etwas, das sie nur dank ihrer Ausbildung als Industriespionin erkannte: eine Genkarte.
    Sie runzelte die Stirn. Anscheinend hatte sie die wichtigen Abschnitte überschlagen und befand sich in einem ganz anderen Kapitel. Sie spulte weiter und entdeckte die dreidimensionale Darstellung eines unglaublich komplizierten genetischen Codes mit langen Helixketten außerirdischer Gene, die in grellen Farben markiert waren. Die Genketten waren um lange Spiralen oder Spindeln gewickelt, die radial einem kompakten Zentralknoten entsprangen. Weitere Ketten eng gedrehter Helices verbanden die Spindeln untereinander. Anscheinend aktivierten diese Ketten in ihren Verbindungspunkten in den Spindeln unterschiedliche Sektionen genetischen Materials, denn sie konnte Tochterketten von Proteinen sehen, die sich aus einigen aktivierten Genen herausschälten.
    Spider Rose lächelte. Von diesen Plänen konnte ein geschickter Former-Genetiker zweifellos sehr profitieren. Sie dachte amüsiert daran, daß kein Former diese Pläne je sehen würde. Offenbar war dies eine künstliche extraterrestrische Genstruktur, denn es gab hier mehr genetische Hardware, als irgendein lebendes Wesen je brauchen konnte.
    Sie wußte, daß die Investierer selbst nie mit der Gentechnik herumpfuschten. Sie fragte sich, welche der neunzehn bekannten intelligenten Rassen dieses Ding erfunden haben mochte. Vielleicht stammte es sogar aus einem Bereich jenseits der ökonomischen Einflußsphäre der Investierer oder war das Überbleibsel einer ausgestorbenen Rasse.
    Sie fragte sich, ob sie die Daten löschen sollte. Wenn sie starb, konnten sie in falsche Hände geraten. Als sie an ihren Tod dachte, wurde sie von den ersten heranschleichenden Vorboten einer tiefen Depression

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