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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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aufgestört. Sie erlaubte dem Gefühl noch einen Moment, sich weiter aufzubauen, während sie überlegte. Die Investierer waren sehr sorglos gewesen, als sie ihr diese Informationen überlassen hatten; oder sie hatten die gentechnischen Fähigkeiten der raffinierten und findigen Former mit ihren spektakulär aufgeblasenen Intelligenzquotienten unterschätzt.
    In ihrem Kopf begann etwas zu wackeln. Ihr wurde einen Augenblick schwindlig, als die aufgestaute Energie der chemisch unterdrückten Emotionen mit voller Kraft durchbrach. Sie beneidete die Investierer um ihre dumpfe Arroganz und ihr Selbstvertrauen, mit dem sie zwischen den Sternen umherkreuzten und die vermeintlich unterlegenen Rassen über den Tisch zogen. Sie wollte eine von ihnen sein. Sie wollte ein Zauberschiff besteigen und das Brennen einer fremden Sonne auf der Haut spüren, irgendwo ein paar Lichtjahre von jeder menschlichen Schwäche entfernt. Sie wollte schreien und sich wie das kleine Mädchen fühlen, das vor hundertdreiundneunzig Jahren auf einer Achterbahn in Los Angeles geschrien und sich gefürchtet hatte: Schreie, die aus reinem, starkem Gefühl kamen, ähnlich den berauschenden Empfindungen, die sie in den Armen ihres Mannes gehabt hatte, des Mannes, der seit dreißig Jahren tot war. Tot … seit dreißig Jahren …
    Mit zitternden Händen öffnete sie eine Schublade unter der Kontrolltafel. Sie roch den schwachen medizinischen Ozongeruch des Sterilisiergeräts. Blind schob sie das glitzernde Haar vom Plastikanschluß in ihrem Schädeldach herunter, drückte die Spritze dagegen, atmete einmal tief ein, schloß die Augen, atmete zweimal tief ein und zog die Spritze wieder ab. Ihre Augen wurden glasig, während sie die Spritze nachfüllte und in das Weichplastik-Etui in der Schublade zurücklegte.
    Sie hob die Flasche und starrte sie an. Es war noch genug da. Sie hatte noch einige Monate Zeit, ehe sie Nachschub synthetisieren mußte. Ihr Gehirn fühlte sich an, als wäre jemand draufgetreten. So war das immer, wenn sie ihre Gefühle zerquetscht hatte. Sie schaltete die Investiererdaten aus und speicherte sie abwesend in eine Ecke ihres Computergedächtnisses um. Das Maskottchen, das auf der Lasercom-Schnittstelle hockte, sang eine kurze Melodie und putzte seine Flügel.
    Kurz danach war sie wieder sie selbst. Sie lächelte. Diese plötzlichen Anfälle waren etwas, mit dem man leben mußte. Sie schluckte noch einen Tranquilizer, um das Zittern ihrer Hände zu unterdrücken, und Mittel gegen die Magensäure, die sich durch den Stress gebildet hatte.
    Dann spielte sie mit dem Maskottchen, bis es müde wurde und einschlief. Vier Tage lang fütterte sie es vorsichtig und gab sich besondere Mühe, es nicht zu überfüttern, denn wie seine alten Herren, die Investierer, war es ein gieriges kleines Biest. Sie hatte Angst, es könnte sich selbst Schaden zufügen. Trotz der rauhen Haut und der Kaltblütigkeit begann sie das Wesen zu lieben. Wenn es keine Lust mehr hatte, um Essen zu betteln, spielte es stundenlang mit Kabeln oder saß auf ihrem Kopf und beobachtete den Bildschirm, während sie die Minenroboter überwachte, die draußen in den Ringen unterwegs waren.
    Am fünften Tag stellte sie beim Erwachen fest, daß es vier ihrer größten und fettesten Schaben getötet und gefressen hatte. Sie tat nichts gegen ihren selbstgerechten Zorn, sondern suchte das Biest in der ganzen Station.
    Sie fand es nicht. Statt dessen fand sie nach einigen Stunden Suche einen Kokon in der Größe des Maskottchens unter der Toilette.
    Es war in eine Art Winterschlaf gefallen. Sie vergab ihm, daß es die Schaben gefressen hatte. Sie waren leicht zu ersetzen und aus der Sicht des Maskottchens Rivalen. In gewisser Weise war es schmeichelhaft. Doch sie vergaß diesen Gedanken sofort wieder und begann sich Sorgen zu machen. Sie untersuchte den Kokon aus der Nähe.
    Er bestand aus überlappenden Tafeln einer spröden, durchscheinenden Substanz – getrockneter Schleim? –, die sie leicht mit dem Fingernagel abkratzen konnte. Der Kokon war nicht vollkommen rund; es gab einige kleine Vorsprünge, hinter denen Knie und Ellbogen stecken mochten. Sie setzte sich eine weitere Injektion.
    Die Woche, die das Wesen im Winterschlaf verbrachte, war für sie eine Periode akuter Angst. Sie durchforstete die Bänder der Investierer, aber sie waren für ihren beschränkten Sachverstand zu hoch.
    Wenigstens wußte sie, daß das Wesen nicht tot war, denn der Kokon fühlte sich warm an,

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