Zikadenkönigin
Ritual, das ich mir selbst vorbehalten habe. Heute nacht gehört uns die schönste Kammer im Schaum, ein heiliger Ort, den noch nie ein Hund mit seinen gläsernen Augen erblickt hat. Hans Landau, heute abend gehört dieser Ort dir, und auch ich gehöre dir.«
Ich sah ihr mit tränenden Augen ins Gesicht. Ihre Augen waren geweitet, und unter ihren Ohren und auf ihren Wangen breitete sich eine leichte Röte aus. Sie hatte hormonelle Aphrodisiaka genommen. Ich roch die keimfreie Süße ihres parfümierten Schweißes und schloß schaudernd die Augen.
Valery führte mich in den Gang hinaus. Hinter uns schloß sich Kulagins Tür luftdicht, und die ausgelassenen Stimmen wurden zu einem Gemurmel gedämpft. Valery half mir, meine Luftflossen anzulegen. Sie flüsterte beruhigend.
Die Hunde waren fort. Zwei Brocken meiner Realität waren verändert, wie man ein Band überspielt. Ich war immer noch benommen. Valery nahm meine Hand, und wir schwebten durch einen Gang nach oben, zum Zentrum der Station, indem wir mit den Flossen in der Luft ruderten. Ich lächelte abwesend die Zikaden an, denen wir unterwegs begegneten. Sie gehörten zu anderen Gruppen und gingen gelassen ihrer Alltagsarbeit nach, während die Polycarbon-Clique ausgelassen feierte.
Im Schaum konnte man sich leicht verlaufen. Er war als Protest gegen die strenge Architektur der anderen Stationen erbaut worden; der typische Trotz von Z-K gegen die Norm. In den am Anfang noch leeren Zylinder war Plastik gepreßt worden. Das Plastik war aufgeschäumt worden und hatte sich gesetzt. So waren Blasen entstanden, deren gerade Seitenflächen durch die klare Topologie des Platzmangels und der Oberflächenspannung geformt wurden. Später waren Gänge eingezogen worden, und die Türen und Schleusen hatte man von Hand eingesetzt. Der Schaum war berühmt für seine überschwengliche, offene Spontanität.
Und für seine Discreets. Z-K gewährte seinen Bürgern gewisse Rechte und schützte diese Räume gegen jede Überwachung. Ich war noch nie in einem gewesen. Leute, die unter den Hunden lebten, durften ihr Gebiet nicht verlassen. Aber ich hatte Gerüchte gehört, geheimnisvolle, lüsterne Skandalgeschichten aus Bars und Gängen, Fetzen zügelloser Spekulationen, die sofort verstummten, wenn Hunde kamen. In einem Discreet konnte alles, einfach alles geschehen, und niemand wußte es außer den Liebenden oder den Überlebenden, die Stunden später in die Öffentlichkeit zurückkehrten …
Als die Zentrifugalkraft nachließ, schwebten wir. Valery zog mich. Die Schaumblasen waren in der Nähe der Rotationsachse größer. Wir betraten einen Bezirk mit ruhigen Wohnfabriken der Reichen. Bald schwebten wir vor der Türschwelle des berüchtigten Topaz Discreet, dem heimlichen Schauplatz zahlloser Vergnügungen der Elite. Es war der beste im Schaum.
Valery sah auf ihre Uhr. Sie wischte den dünnen Schweißfilm ab, der sich auf ihrem schön geschwungenen, geröteten Gesicht und ihrem Hals gebildet hatte. Wir mußten nicht lange warten. Wir hörten den leisen Gong der Schaltuhr im Discreet mehrmals anschlagen; der augenblickliche Benutzer wußte nun, daß seine Zeit abgelaufen war. Das Türschloß war nicht versiegelt. Ich fragte mich, welches Mitglied des inneren Kreises von Z-K auftauchen würde. Nun, da ich die Hunde los war, sehnte ich mich danach, seinen Blick fest zu erwidern.
Wir mußten warten. Das Discreet gehörte jetzt von Rechts wegen uns, und jeder verlorene Augenblick schmerzte uns. Die Zeit im Discreet zu überziehen, war mehr als unhöflich. Valery wurde wütend und stieß die Tür auf.
In der Luft schwebte Blut. In der Schwerelosigkeit tanzten tausend gerinnende rote Kleckse.
Der Selbstmörder schwebte fast in der Mitte des Raums. Sein schlaffer Körper kreiste noch langsam von der Wucht seiner letzten Bewegung. Er hatte sich den Hals durchgeschnitten. Ein Skalpell funkelte in den unwillkürlich verkrampften Fingern der Leiche. Er trug den einfachen schwarzen Overall eines konservativen Mechanisierers.
Der Körper drehte sich, und ich sah die Abzeichen der Königlichen Ratgeber, die auf die Brust gestickt waren. Sein teilweise durch Metall ersetztes Schädeldach war von seinem eigenen Blut klebrig; das Gesicht war verschmiert. Lange Fäden von geronnenem Blut hingen wie rote Schleier an seinem Hals.
Wir waren in etwas hineingestürzt, das viel zu groß für uns war. »Ich rufe den Wachdienst«, sagte ich.
Sie sagte nur zwei Worte: »Noch nicht.« Ich sah sie an.
Weitere Kostenlose Bücher