Zikadenkönigin
Lachen. Sie kannten keine Gnade, und es dauerte eine volle Minute, bis die erniedrigten Hunde geblendet zur Tür hüpfen und taumeln konnten.
Die Hysterie des Mobs überwältigte auch mich. Schreie drangen durch meine zusammengebissenen Zähne. Jemand mußte mich zurückhalten, damit ich die Hunde nicht durch den Gang verfolgte. Als kräftige Hände mich ins Zimmer zurückzogen, wandte ich mich zu meinen Freunden um und erschrak, als ich die ungezügelten Emotionen auf ihren Gesichtern sah. Es war, als hätten sie ihre Haut abgestreift und blickten mich mit lebendigen Augen aus Fleischklumpen an.
Ich wurde aufgehoben und von Hand zu Hand durch den ganzen Raum weitergereicht. Selbst die, die ich kannte, schienen mir jetzt fremd. Hände rissen an meinen Kleidern, bis ich nackt war; sie nahmen mir sogar mein Computerarmband ab. Dann stellten sie mich mitten in den Raum.
Als ich schaudernd in ihrem Kreis stand, kam Kulagin zu mir, die Arme steif ausgestreckt, das Gesicht versteinert und priesterlich ernst. Er hielt ein weiches schwarzes Tuch in den Händen. Er hob das Tuch über meinen Kopf, und ich sah, daß es eine schwarze Haube war. Er legte die Lippen dicht an mein Ohr und sagte leise: »Freund, geh in die Ferne!« Dann zog er mir die Haube über den Kopf und knotete sie zu.
Die Haube war mit etwas getränkt worden; sie stank. Meine Hände und Füße begannen zu kribbeln, dann wurden sie taub. Langsam kroch eine Wärme meine Arme und Beine herauf. Es fühlte sich an, als würden mir Armreifen angelegt. Ich hörte nichts mehr, und meine Füße spürten den Boden nicht mehr. Ich verlor meinen Gleichgewichtssinn, und plötzlich stürzte ich rücklings in die Unendlichkeit.
Ich wußte nicht, ob meine Augen geschlossen oder geöffnet waren. Aber am Rande meines Gesichtsfeldes, hinter einer Art Nebel, tauchten kalte und grelle Lichtpunkte auf. Es war die Große Galaktische Nacht, die weite, erbarmungslose Leere, die unmittelbar hinter den wärmenden Wänden jeder menschlichen Behausung lauert, leerer noch als der Tod.
Ich schwebte nackt im Raum, und die Kälte war so scharf, daß ich sie in jeder Zelle meines Körpers wie Gift schmeckte. Ich spürte die schwache Wärme meines Lebens aus mir strömen wie Plasma, das als Morgenrot auf meinen Fingerspitzen verging. Ich stürzte immer weiter, und als die letzten Funken meiner Wärme in den unendlichen Abgründen des Raumes vergingen und mein Körper steif und weiß und jede Pore von Reif überzogen war, sah ich mich dem größten aller Schrecken gegenüber: Ich würde nicht sterben, sondern auf ewig immer weiter ins Unbekannte stürzen, und mein Bewußtsein würde zu einer winzigen, gefrorenen Spore schrumpfen, isoliert und voller Schrecken.
Die Zeit dehnte sich. Äonen stiller Furcht verdichteten sich zu wenigen Herzschlägen, und vor mir sah ich einen einsamen weißen Lichtklecks, einen Riß zwischen diesem und einem Nachbarkosmos voller fremdartiger Strahlung. Diesmal konnte ich verfolgen, wie ich darauf zustürzte und hindurchfiel, bis ich schließlich mit einem Ruck wieder hinter meinen eigenen Augen landete, in meinem eigenen Kopf, und auf dem weichen Boden von Kulagins Studio stand.
Die Haube war weg. Ich trug eine weite schwarze Robe, die von einem bestickten Gürtel gehalten wurde. Kulagin und Valery Korstad halfen mir auf die Beine. Ich schwankte, wischte meine Tränen ab, aber ich konnte stehen, und die Clique jubelte mir zu.
Kulagin schob seine Schulter unter meinen Arm. Er umarmte mich und flüsterte: »Bruder, vergiß die Kälte nicht. Wenn deine Freunde Wärme brauchen, dann sei warm und erinnere dich an die Kälte. Wenn Freundschaft dich schmerzt, dann vergib uns und erinnere dich an die Kälte. Wenn Selbstsucht dich in Versuchung führt, dann weise sie zurück und erinnere dich an die Kälte. Denn du warst in der Ferne und bist erneut zu uns zurückgekehrt. Erinnere dich, erinnere dich an die Kälte.« Und dann gab er mir meinen geheimen Namen und drückte seine bemalten Lippen auf meinen Mund.
Ich klammerte mich an ihn und schluchzte erstickt. Valery umarmte mich, und Kulagin zog sich sanft und lächelnd zurück.
Einer nach dem anderen nahmen alle aus der Clique meine Hände und drückten ihre Lippen rasch auf mein Gesicht und murmelten Glückwünsche. Ich konnte immer noch nicht sprechen; ich nickte nur. Inzwischen flüsterte Valery Korstad, die meinen Arm festhielt, heiße Worte in mein Ohr: »Hans, Hans, Hans Landau, es bleibt noch ein gewisses
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