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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruce Sterling
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war er in eine lockere Bluse aus metalldurchwirktem Brokat mit geschlitzten Ärmeln. Darunter war ein dunkleres Unterhemd zu erkennen, in das flackernde Lichtpünktchen gesetzt waren. Dazu trug er einen juwelenbestickten Rock nach der Mode der Investierer und kniehohe Schuppenstiefel. Die Juwelenbänder am Rocksaum ließen seine kräftigen Beine frei; er war an die Schwerkraft gewöhnt, die von der reptilischen Königin bevorzugt wurde. Er war ein mächtiger Mann, dessen Schwächen, soweit sie überhaupt existierten, in seiner Vergangenheit begraben waren.
    Wellspring sprach über Philosophie. Seine Zuhörer, Mathematiker und Biologen der Universität von Z-K, machten mir mit verkniffenem Lächeln Platz. »Sie haben mich gebeten, meine Begriffe zu definieren«, sagte er entgegenkommend. »Mit wir meinte ich nicht nur euch Zikaden und ebensowenig die breite Masse der sogenannten Menschheit. Schließlich seid ihr Former aus Genen entstanden, auf welche die Genkonzerne Patente besitzen. Man könnte euch ohne weiteres als Industrieprodukte bezeichnen.«
    Seine Zuhörer stöhnten. Wellspring lächelte. »Die Mechanisierer dagegen beseitigen nach und nach das menschliche Fleisch und ersetzen es durch cybernetische Existenzformen. So. Daraus folgt, daß ich mit wir nur ein kognitives Metasystem auf der Vierten Prigoginischen Ebene der Komplexität meinen konnte.«
    Ein Former-Professor drückte sich seinen Zerstäuber ins bemalte Nasenloch und sagte: »Ich muß da widersprechen, Wellspring. Dieser okkulte Unsinn über Ebenen der Komplexität ruiniert Z-Ks Fähigkeit, anständige Forschung zu betreiben.«
    »Das ist eine linear-kausale Behauptung«, gab Wellspring zurück. »Ihr Konservativen sucht eure Sicherheit immer außerhalb der Ebene kognitiver Metasysteme. Aber jedes intelligente Leben ist zweifellos durch einen prigoginischen Ereignishorizont von den niedrigen Ebenen getrennt. Es ist an der Zeit, daß wir aufhören, nach festem Boden zu suchen, auf dem wir stehen wollen. Wir müssen uns selbst in den Mittelpunkt aller Dinge rücken. Wenn wir etwas brauchen, auf dem wir stehen wollen, dann sollten wir es um uns kreisen lassen.«
    Er bekam Applaus. Er fuhr fort: »Geben Sie's zu, Yevgeny! In Z-K erblüht eine neue Moral und ein neues intellektuelles Klima. Beides ist weder quantifizierbar noch voraussagbar, und das macht Ihnen als Wissenschaftler angst. Der Posthumanismus bietet Unbeständigkeit und Freiheit und fordert den metaphysischen Wagemut, in Gedanken eine ganz neue Welt zu erschaffen. Er befähigt uns, ökonomisch absurde Projekte wie das Terraformen des Mars in Angriff zu nehmen, an die Sie mit Ihrer pseudopragmatischen Haltung nicht im Traum denken würden. Aber stellen Sie sich einmal den dabei möglichen Gewinn vor.«
    »Das sind doch nur semantische Tricks«, schnaubte der Professor. Ich hatte ihn noch nie gesehen. Ich vermutete, Wellspring hatte ihn eigens mitgeschleppt, um ihn aufs Glatteis zu führen.
    Auch ich hatte zunächst gewisse Aspekte von Z-Ks Posthumanismus angezweifelt. Doch der offene Verzicht auf die Suche nach moralischen Leitsätzen hatte uns befreit. Wenn ich mir die eifrigen, angemalten Gesichter von Wellsprings Zuhörern ansah und sie mit der freudlosen, undurchdringlichen Sachlichkeit verglich, die mich früher umgeben hatte, war mir, als müßte ich gleich platzen. Nach vierundzwanzig Jahren unter der paranoiden Disziplin des Ringrates und zwei weiteren Jahren unter den Hunden würde ich an diesem Abend den Druck auf explosive Art loswerden.
    Ich schnüffelte das Phenethylamin, ein ›körpereigenes‹ Amphethamin. Mir wurde plötzlich schwindlig, als wäre der Raum in meinem Kopf mit der rotglühenden Urmaterie des ursprünglichen de Sitter-Kosmos gefüllt, bereit, jederzeit den prigoginischen Sprung in das ›normale‹ Raum-Zeit-Kontinuum zu tun und die Zweite Prigoginische Ebene der Komplexität zu erreichen … der Posthumanismus lehrte uns, in Phasen von Starre und Veränderung zu denken, in Strukturen, die, unerkennbaren Mustern folgend, sich ausdehnten und jenen Vorgaben gehorchten, die der alte terranische Philosoph Ilya Prigogine entwickelt hatte. Ich konnte dies unmittelbar verstehen, denn meine Zuneigung für die strahlende Valery Korstad hatte sich zu einem Bedürfnisknoten verdichtet, der durch Unterdrückermittel betäubt, aber nicht zerstört werden konnte.
    Sie tanzte durch den Raum, und die Juwelenfäden in ihrem Investiererhemd hüpften wie Schlangen. Sie hatte

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