Zikadenkönigin
Beschränkung des Handels. Wie alt bist du?«
»Vierundvierzig«, sagte das Mädchen. »Und du?«
»Hundertzehn oder so. Ich müßte in den Akten nachsehen.« Irgend etwas an der Erscheinung des Mädchens beunruhigte ihn. »Woher hast du diese altmodischen Augen?«
»Sie gehörten meiner Mutter. Ich habe sie geerbt. Aber du bist ja ein Former. Du weißt nicht, wer deine Mutter war.«
»Ganz im Gegenteil«, sagte Nikolai. »Ich glaube sogar, daß ich deine kannte. Wir waren verheiratet. Nach ihrem Tod ließ ich dich klonen. Ich glaube, damit bin ich dein … – ach, vergiß es!«
»Vater.«
»Das klingt beinahe richtig und auf jeden Fall hast du ihre Begabung für Geldgeschäfte geerbt.« Er sah noch einmal ihre Personalakte durch. »Hättest du Interesse, die Liste deiner Verbrechen um den Tatbestand der Bigamie zu erweitern?«
… Geistig instabile Menschen haben einen gewissen Wert. Beschränkung des Handels sieht angesichts eines Videoschirms völlig anders aus. Ein paar kleine Durchbrüche in Fragen der Existenz. Deine Personalakte verfolgte ihn. Seine geschwollene Stirn kann kein Datensystem halten …
16. Freudenschreie. »Man darf nicht zum Gewohnheitsmensch werden«, sagte seine Frau. »Die einzige Möglichkeit, jung zu bleiben.« Sie zog einen vergoldeten Zerstäuber aus dem Strumpfband. »Versuch das mal!«
»Ich brauch keine Drogen«, sagte Nikolai lächelnd. »Ich habe meine Machtphantasien.« Er begann seine Kleider abzulegen.
Seine Frau beobachtete ihn ungeduldig. »Sei kein Frosch, Nikolai.« Sie setzte den Zerstäuber an ihre Nase und schnüffelte. Schweiß brach auf ihrem Gesicht aus, und die Röte sexueller Erregung verbreitete sich über Ohren und Hals.
Nikolai sah ihr zu, dann zuckte er die Achseln und schnüffelte vorsichtig an dem vergoldeten Röhrchen. Sofort betäubte eine erderschütternde Woge der Ekstase sein Nervensystem. Sein Körper wand sich, zuckte unkontrolliert.
Seine Frau begann ihn ungeschickt zu liebkosen. Die tobende chemische Lust ließ jeden Gedanken an Sex vergehen. »Warum … warum sollen wir uns noch die Mühe machen?« keuchte er.
Seine Frau sah ihn überrascht an. »Weil es so üblich ist.«
17. Flackernde Wand. Nikolai wandte sich an die flackernde Monitorwand. »Ich werde alt«, sagte er. »Ich bin bei guter Gesundheit – ich hatte mit der Auswahl meiner Langlebigkeitsprogramme viel Glück –, aber ich habe nicht mehr den Mut, den ich früher hatte. Ich habe meine Flexibilität und meinen Biß verloren. Und die Gruppe ist so groß geworden, daß ich sie nicht mehr leiten kann. Ich habe keine Wahl. Ich muß zurücktreten.« Er beobachtete scharf die Gesichter auf den Bildschirmen, ob sie eine Reaktion zeigten. In seinen zweihundert Lebensjahren hatte er die Kunst, in Gesichtern zu lesen, vollendet gelernt. Seine Fähigkeiten besaß er noch, nur der Wille dahinter war abgebröckelt. Die Gesichter der Kabinettsmitglieder, die er mit diesem Schock aus der Reserve gelockt hatte, schienen vor Ehrgeiz und Gier aufzublühen.
18. Legale Ziele. Die Mechanisierer hatten im Vorort ihre Drohnen losgelassen. Mit Vorladungen bewaffnet huschten die gesichtslosen Drohnen durch die dichtbevölkerten Gänge und suchten legale Ziele.
Plötzlich löste sich Nikolais früherer Sicherheitschef aus der Menge, um in Deckung zu gehen. In der Schwerelosigkeit warf er sich wie ein gepanzerter Gibbon von Handgriff zu Handgriff. Plötzlich gab eine seiner Prothesen nach, und die Drohnen stürzten sich fast vor Nikolais Tür auf ihn. Plastik brach, während elektromagnetische Zangen seine Glieder lähmten.
»Verdammt«, keuchte er. In den tiefen Falten seines alten Gesichtes glänzten Schweißbäche. »Die nehmen mich auseinander! Hilf mir, Leng!«
Nikolai schüttelte traurig den Kopf. Der alte Mann kreischte: »Du hast mich da reingebracht! Du warst der Ideologe! Ich bin nur ein armer Mörder!«
Nikolai schwieg. Die Maschinen nahmen dem alten Mann die Arme und Beine ab.
19. Altmodische Spaltungen. »Du bist echt fertig, Alter, du mit deinem alten Quark!« Die jungen Leute sprachen einen Slang, den Nikolai kaum verstehen konnte. Sie beobachteten ihn mit einer Mischung aus Wut, Bedauern und Ehrfurcht. Nikolai kam es vor, als könnten sie sich nur durch Brüllen verständigen. »Ich fühle mich zahlenmäßig in der Minderheit«, murmelte er.
»Du bist zahlenmäßig in der Minderheit, alter Nikolai! Diese Bar ist dein Museum, was? Dein Mausoleum! Aber erzähl uns
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