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Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid

Titel: Zimmer d. Wahrheit - Schatzjäger - Zelluloid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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stank, aber sie vermochte nicht zu sagen, wonach. Schimmel und Moder hätten sie nicht beunruhigt. Da war etwas anderes …
    „Die Zimmer der Veränderung“, hauchte der Verhüllte. „Und ganz am Ende … das Zimmer der Wahrheit.“
    WAS IST DAS ZIMMER DER WAHRHEIT?, schrieb sie.
    „Das Vorzimmer zu Gottes Reich.“ Klang bei diesen Worten in seiner Stimme etwas Feierliches auf, so hörte er sich wie ein routinierter Reiseführer an, als er sagte: „Keine Angst. Es ist nicht gefährlich.“
    Melanie ließ sich weiter die Treppe hinab führen, und nach einem guten Dutzend Stufen erreichten sie einen flachen Untergrund. Sie sagte ein paar sinnlose Worte, nur um die Akustik zu prüfen. Dem kurzen, harten Echo nach zu urteilen, befanden sie sich in einem steinernen Gang, relativ schmal und vermutlich nicht viel höher als ihre Köpfe. Der Boden war leicht uneben, als hätte man den Korridor direkt aus dem Fels geschlagen. In einiger Entfernung glomm ein orangefarbenes, flackerndes Licht, und als sie näher kamen, erkannte sie eine Fackel in einer eisernen Halterung an der Wand. Die Fackel spuckte Ruß. Für einen Moment überlagerte der Brandgeschmack auf ihrer Zunge den anderen Geruch. Der Gang glich einer Höhle und führte tatsächlich durch nackten Fels.
    „Nimm die Fackel, wenn du dich damit wohler fühlst.“
    Das ließ sich Melanie nicht zweimal sagen. Mühsam rüttelte sie an dem rußenden Ding, zog es aus der Befestigung und hielt es weit von sich, damit die unruhige Flamme nicht ihre Haare versengte. Mit der anderen Hand hielt sie noch immer die knochige Hand des Mönchs. Der Gang bog ab, dann kamen sie an zwei Türöffnungen vorbei. Die Räume dahinter lagen in tiefer Dunkelheit, und auch als Melanie im Vorbeigehen kurz hineinleuchtete, gaben die Schatten nichts als felsige Böden und Wände frei.
    „Erschreckt dich dies alles?“, meldete sich der Kuttenträger, und sie schüttelte automatisch den Kopf. NEIN, zeichnete sie auf seine Handfläche, unschlüssig, was er meinte. Was sollte sie erschrecken? Hier gab es nichts zu sehen. Nur der Geruch – der Geruch wurde tatsächlich immer stärker. Er erinnerte an tierische oder menschliche Ausdünstungen, und die Flamme ihrer Fackel schien nach den unsichtbaren stinkenden Schwaden zu schnappen wie ein hundertköpfiger roter Drache.
    „Die Zimmer der Veränderung – du hast keine Fragen dazu. Das ist gut.“
    Eben passierten sie die dritte Türöffnung. Ihr war es, als höre sie Geräusche aus dem Inneren. Diesmal blieb sie stehen, steckte die Fackel ein Stück in den Raum hinein, riskierte einen Blick – und fuhr mit einem Aufschrei zurück!
    „Gott“, stieß sie keuchend hervor. Die Fackel knisterte gefährlich dicht neben ihrem Ohr. Sie roch, wie einige ihrer Haare verbrannten. Erschrocken warf sie die Fackel weg, nur um sie einen Moment später wieder vom Boden aufzulesen. Das Feuer drohte auf dem feuchten Boden zu verlöschen, und sie wollte nicht ohne Licht dastehen.
    Ihre Kehle war eng geworden, sie holte tief Luft. „Was ist das? Diese …“ Mit unsteten Fingern schrieb sie: DIESER MENSCH SOLLTE NICHT HIER SEIN.
    Der Mönch drückte ihre Hand fester, bis ihr Zittern in seinem harten Griff verschwand. „Ich wusste, dass es dich ängstigen würde“, flüsterte er. „Lass es dir erklären. Die Angst kommt nicht von dem Menschen dort. Sie kommt von dem, was deine Augen dir gezeigt haben. Von deinem ersten Eindruck. Wenn du ihn nicht gesehen hättest, hätte er dir keine Angst gemacht. Obwohl er trotzdem da wäre. Das beweist, wie schrecklich nutzlos deine Augen sind.“
    „Nutzlos?“ Melanie schluckte. Sie gab sich Mühe, nicht noch einmal hinzusehen, hielt die Fackel in die andere Richtung. Von hier aus war es nur ein schwarzes Loch in der Wand, ein Durchgang, wie es die anderen beiden auch gewesen waren. Wenn sie die Lichtquelle nur um ein paar Zentimeter bewegte, dann würde dort im Inneren der kleinen Steinkammer etwas sichtbar werden, ein …
    Was hatte sie eigentlich gesehen? Einen … kranken Menschen? Es war nur eine Form in der Ecke des Zimmers gewesen. Die Form hatte sich bewegt, eine menschliche Gestalt, allerdings hatte ihm etwas gefehlt …
    Jetzt wurde ihr klar, dass auch die letzten beiden Räume, die sie passiert hatten, nicht leer gewesen waren. Sie hatte lediglich nicht genau genug hingesehen, die Ecken nicht gut genug ausgeleuchtet, um die armen Kreaturen zu erkennen, die sich dort gegen die kalten Steinwände pressten. So

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