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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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woanders?«
    »Wir haben uns nie woanders getroffen.«
    »Ich glaube Ihnen nicht, Jonas.«
    »Es ist wahr.« Der Junge saß jetzt aufrecht da. Es war, als hätte er jetzt erst die Gewalt über seinen Körper zurückerlangt. »Es ist so. Es ist wahr.«
    »Nie in einem Café in der Stadt, einem Pub?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Sie wollte es nicht.«
    »Haben Sie sie gefragt?«
    »Ja.«
    »Haben Sie Paula zu sich nach Hause eingeladen?«
    »Ja. Sie hat abgelehnt.«
    »Warum?«
    »Ich … weiß es nicht.«
    »Haben Sie nach dem Grund gefragt?«
    »Nein … Sie wollte nicht. Ich konnte sie doch nicht bedrängen.«
    »Aber Sie wussten, wo sie wohnte?«
    »Ja …«
    »Sind Sie dort gewesen?«
    »Ich … verstehe Sie nicht. Ich hab doch gesagt, dass ich nicht … eingeladen wurde.«
    »Sie sind vor dem Haus gesehen worden.«
    Jonas antwortete nicht.
    »Sind Sie dort gewesen?«, fragte Winter.
    »Ja.«
    »Wann?«
    »Kürzlich … mehrmals.«
    »Was haben Sie dort gemacht?«
    »Ni… nichts. Ich hab bloß dagestanden.«
    »Warum?«
    »Ich … weiß nicht.« Er schaute aus dem Fenster. »Ich hab sie vermisst. Ich hab sie wiedergetroffen, und dann war sie weg.«
    »Warum war sie weg, Jonas? Haben Sie sich das gefragt?«
    »Ja … nein, ich weiß nicht …«
    »Sie wurde ermordet, Jonas. Sie war nicht nur einfach weg. Wer könnte sie ermordet haben?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Winter bemerkte, dass Jonas’ Unterlippe zu zittern begann. Das war ihm auch im Wäldchen aufgefallen.
    »Herrgott noch mal, ich weiß es nicht.«
    »Kennen Sie Paulas Eltern?«
    »Eltern? Nein.«
    »Sie haben doch ihre Mutter gekannt.«
    »Nein …«
    »Sie kannten ihre Mutter nicht? Sie haben doch im selben Haus gewohnt wie Sie, oder?«
    Jetzt suchte sein Blick über den Schreibtisch hinweg wieder Winters. »Nicht ihre richtige Mutter.«
    »Er sagt also, Paula hat dort als Kind gewohnt«, sagte Ringmar. »Und wenn es so wäre? Das muss doch nichts bedeuten.«
    »Ach, nicht?« Winter ging im Zimmer auf und ab, was für ihn ungewöhnlich war. »Es kann alles bedeuten.«
    Ringmar saß außerhalb des Lichtkegels auf Winters Schreibtisch. Vor einer Viertelstunde hatte Jonas dort gesessen. Jetzt hockte er im Untersuchungszimmer eine Etage tiefer. Er war wieder ein Junge geworden und hatte angefangen zu zittern, seine Lippen hatten plötzlich blau gewirkt in dem warmen Licht, seine Augen hatten angefangen zu flackern wie eine züngelnde Flamme. Winter hatte einen Arzt gerufen. Dem Arzt würde der Psychologe folgen. Dann mussten sie weitersehen. Vielleicht der Staatsanwalt. Vielleicht der Pastor.
    »Für ihn bedeutet es jedenfalls alles«, sagte Winter. »Es ist sein Leben.«
    »Vielleicht ist er verrückt.«
    »Nein. Es ist der Druck«, sagte Winter.
    »So was kann dazu führen, dass man durchdreht.«
    Winter schwieg.
    »Wenn er sie umgebracht hat, werden wir es erfahren«, sagte Ringmar. »Vielleicht schon heute.«
    Winter blieb mitten im Zimmer stehen und schaute aus dem Fenster. Draußen war kein Tag mehr, schon lange nicht mehr.
    »Und Elisabeth Ney? Die Mutter? Hat er sie auch umgebracht?«
    »Jonas zufolge ist es ja nicht ihre Mutter«, sagte Ringmar.
    »Kann man dem glauben?«
    »Warum hätte er es sonst sagen sollen? Aber warum sollte Paula ihm das erzählt haben? Möglicherweise hat sie sich das auch nur ausgedacht«, fuhr Ringmar fort. »Kinder erfinden manchmal so was.«
    »Erwachsene auch.«
    »Wie Jonas«, sagte Ringmar.
    »Mhm.«
    »Vielleicht ist alles nur Phantasterei«, sagte Ringmar. »In seiner Kindheit hat es nie eine Paula gegeben. Er hat sie sich später erschaffen, als er sie kennen gelernt hat. Nein, als sie tot war. Eine Phantasterei von ihr.«
    Winter schwieg. Er dachte an ihre erste Begegnung, das Gesicht des Jungen. Der Junge und sein Hund. Wie hieß er noch? Zack. Ein Name, den man nicht vergaß. Ein guter Name.
    »Er scheint sich ja nicht ganz im Klaren darüber zu sein, was er sieht und was er nicht sieht«, sagte Ringmar.
    »Da bin ich nicht sicher. Etwas hat er jedenfalls in diesem Wäldchen gesehen«, sagte Winter.
    »Du meinst vor zwanzig Jahren?«
    »Achtzehn.«
    »Die Hand? Redest du von dieser Hand?«
    »Ich rede von dem, was er heute gesehen hat.«
    »Er hat gesagt, dass Paula dort war.«
    »Ja. Aber muss er deswegen dort gewesen sein? Um nach Paula zu suchen?«
    »Vielleicht sucht er ja sich selbst«, sagte Ringmar. »Und das meine ich ganz ernst.«
    »Kann es die Hand sein, die er als Junge gesehen haben

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