Zimmer Nr. 10
Zuverlässigkeit zu sein«, sagte Halders.
Eine halbe Stunde lang hatten sie über Mario Ney diskutiert, über alles, was er Winter enthüllt hatte. Wenn das Wort »enthüllen« überhaupt das richtige war.
»Falls er ein Motiv hat, dann hat er es gut geheim gehalten«, sagte Bergenhem.
»Ist das nicht immer so?«, meinte Aneta Djanali.
»Läuft es bei einem Mörder nach einem Verbrechen nicht gerade darauf hinaus?«, fragte Halders. »Das Motiv zu verbergen?«
»Das Motiv und das Verbrechen an sich«, sagte Bergenhem.
»Wenn es ein Motiv gibt«, sagte Winter.
»Meinst du, er ist geisteskrank?«, fragte Halders.
»Es geht ihm nicht gut«, sagte Winter mit einem trockenen Lächeln, »und das schon lange.«
»Ihm geht’s verdammt besser als seiner Tochter und den Frauen«, sagte Halders.
»So nennst du sie? Die Frauen?«, fragte Aneta Djanali.
»Ich weiß nicht, wie ich sie sonst nennen soll«, sagte Halders.
»Eins können wir jedenfalls festhalten«, sagte Ringmar. »Es ist immer noch möglich, das System reinzulegen.«
»Wir sind langsam zu viele in diesem Land«, sagte Halders.
»Das meinst du doch nicht im Ernst!«, empörte sich Aneta Djanali.
»Nur vom Standpunkt der Überwachung aus gesehen«, sagte Halders.
»Meinst du, Big Brother verliert die Kontrolle?«, fragte Bergenhem.
»Es ist fast eine Generation her, dass Paula geboren wurde«, sagte Winter. »Seitdem hat sich einiges getan bei den Behörden im Staate Schweden.«
»Wer das System betrügen will, dem gelingt es immer«, sagte Ringmar, »das soziale wie das wirtschaftliche.«
»Wenn die Geschichte von dem Kerl stimmt, ja«, sagte Halders. »Aber es sind nicht mehr viele übrig, die das bestätigen könnten.«
»Was machen wir also?«, fragte Aneta Djanali.
»Ihn wieder verhören, ganz klar«, sagte Halders. »Ihn weitere sechs Stunden hier behalten. Er könnte schließlich ein Tatverdächtiger sein, oder? Er hat nicht die Spur eines Alibis. Er ist Teil der Familie. Allein das. Und dazu das Märchen, das er Erik erzählt hat. Das macht ihn nur noch verdächtiger.«
Im Zimmer wurde es still. Die Fensterscheiben klirrten im Sturm. In zwei Wochen würde das Flugzeug nach Málaga abheben. Winter würde darinsitzen, was immer passierte. Halders war im Begriff zu übernehmen. Und es gab ja auch noch Handys und all das. Aber er würde nicht mit ganzem Herzen dabei sein in dem Flugzeug, und deswegen wäre es falsch wegzufahren. Er würde nur halbherzig in der Sonne herumspazieren. Nein. Doch. Nein. Die Kinder würden dort sein, und Angela. Seine Familie. Es würde Hoffnung geben. Er würde seine Kinder um sich haben. Und das Meer, den Horizont, Sonnenuntergänge, Dämmerungen.
Das reichte ihm.
Sein Handy klingelte. Alle hatten in Gedanken versunken dagesessen und zuckten zusammen.
Er hörte zu, stellte Fragen, drückte auf Aus. »Ellen ist erhängt worden«, sagte er.
»Wann?«, fragte Ringmar.
»Vor nicht mehr als zwei Wochen«, antwortete Winter.
»Die Leiche war gut erhalten«, sagte Halders.
»Wir wissen immer noch nicht, was passiert ist«, sagte Ringmar.
»Und wie er sie dorthin gebracht hat«, sagte Halders.
»Unbeobachtet«, ergänzte Ringmar.
»Gibt es was Neues von der Haus-zu-Haus-Befragung?«
Ringmar wandte sich an Bergenhem.
»Niemand hat was gehört oder gesehen. Jedenfalls keiner, mit dem wir bisher gesprochen haben.«
»Wie viele waren nicht zu Hause?«
»Sechs Mieter. Das ist der letzte Stand, den ich von den Jungs gehört habe.«
»Besorg bitte eine Liste von denen, die sie nicht angetroffen haben.«
Bergenhem nickte.
»Ich werde mich noch mal mit Jonas unterhalten.« Winter erhob sich.
»Ist er immer noch hier?«, fragte Halders.
»Ja«, antwortete Ringmar. »Er wollte es so.«
»Warum?«
»Er sagt, er hat Angst.«
Jonas saß auf dem Bett. Es sah aus, als hätte er versucht, es selbst zu machen. Eins der beiden Kissen lag auf dem Fußboden. Auch in diesen Teil des Hauses drangen die Geräusche des Sturms. Durch die Scheiben sah er das Ullevi-Stadion. An diesem Nachmittag spielte dort niemand Fußball. Das Gras war ungewöhnlich grün, wie mit einem sehr breiten Pinsel gemalt. Er konnte am anderen Flussufer die große Insel sehen. Hisingen war in schwarze Wolken gehüllt. Darum herum nur Dunkelheit. Und hinter der Dunkelheit schickte die Sonne sich wohl an unterzugehen. Das war jedoch nicht zu sehen. Man konnte nur hoffen, dass es sie immer noch gab.
»Wie geht es, Jonas?«
Der Junge antwortete
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