Zimmer Nr. 10
einmal mit diesem Strick in Berührung gekommen«, sagte Ringmar.
Drei Stricke, dachte Winter. Identische Stricke, blau, nicht ganz neu. Gutes Mordwerkzeug.
»Ich glaube kaum, dass absichtlich Spuren auf diesem Strick hinterlassen wurden«, sagte Ringmar.
»Vor allen Dingen nicht von Mitgliedern der Familie Ney«, sagte Winter.
Mario Ney schaute auf, als Winter das Zimmer betrat, und erhob sich langsam. Er wirkte kleiner als früher. Das hatte etwas mit seinen Schultern zu tun. Er hatte sich immer sehr gerade gehalten, aber jetzt nicht mehr. Er stand mit rundem Rücken da, als täte ihm die Magengegend weh. Vielleicht ist er jetzt reif, dachte Winter.
»Was ist passiert?«, fragte Ney.
»Warum fragen Sie?«
»Sie sehen aus, als ob was passiert wäre.«
»Wie sieht man dann aus?«
»So wie Sie im Augenblick.«
»Bitte, setzen Sie sich«, sagte Winter und begann mit seinen Vorbereitungen für das Verhör.
»Ich hab nichts mehr zu sagen«, sagte Ney nach einer Weile.
»Sie haben ja noch gar nichts erzählt.«
»Ich habe alles gesagt, was ich weiß.«
»Erzählen Sie von der Wohnung in Hisingen.«
»Dazu hab ich nichts mehr zu sagen.«
»Warum haben Sie die Wohnung gemietet?«
»Das hab ich schon erklärt. Muss ich denn alles wiederholen?«
»Haben Sie selbst mal dort gewohnt?«
»Keinen einzigen Tag.«
»Haben Sie mal irgendwo in der Nähe gewohnt?«
»Warum sollte ich?«
Winter sagte nichts. Ney erwartete keine Antwort. Eine Weile schien er in Gedanken versunken. Plötzlich kehrte sein Blick zurück und fixierte Winter. »Während wir hier herumsitzen, läuft draußen ein Mörder frei herum«, sagte er.
34
Halders strich sich über den Schädel. Der wirkte frisch rasiert und glänzte in der Deckenbeleuchtung wie poliert.
»Und was sagt Molina?«, fragte Halders.
»Er will wissen, ob es wirklich ein konkretes Verdachtsmoment gibt«, antwortete Winter.
»Und – gibt es eines?«
»Normalerweise kann ich immer eine Menge aus den Verhören herauslesen, aber Ney bleibt mir ein Rätsel.«
»Das hat vielleicht was zu bedeuten«, sagte Halders.
»Die DNA-Spuren seiner Frau an dem Seil müssten eigentlich für eine vorläufige Festnahme reichen«, sagte Bergenhem. Er hatte den Raum kurz nach den anderen betreten.
»Molina nimmt ihn nicht in U-Haft«, sagte Winter. »Wir brauchen mehr Indizien gegen ihn.«
»Was zum Beispiel?«
Winter antwortete nicht.
»Soweit wir wissen, ist Mario Ney nie in der Nähe dieses Stricks gewesen. Keines der Stricke«, sagte Ringmar.
»In der Nähe von was war er dann?«, fragte Aneta Djanali.
Winter drehte sich zu ihr um. »Was hast du gesagt?«
Sie wiederholte ihre Frage.
»Er war in der Nähe von Paulas Wohnung«, sagte Winter.
»Hat er immer noch einen Schlüssel?«, fragte Halders.
Ringmar nickte.
»Ist er in der Nähe des Hotel ›Revy‹ gewesen?«, fragte Halders.
»Hast du noch mal mit dem Portier gesprochen, Erik?«, fragte Ringmar.
»Nein. Ich hab ihn immer noch nicht erreicht.«
»Ist Ney bei dieser Wohnung in Hisingen gesehen worden?«, fragte Aneta Djanali.
»Ist die Befragung der Nachbarn abgeschlossen?«, fragte Halders.
»Nur einen einzigen haben wir noch nicht erwischt«, sagte Ringmar und wedelte mit dem Blatt, das auf seinem Schreibtisch gelegen hatte.
»Wen?«, fragte Halders.
»Einen gewissen Metzer. Anton Metzer.«
Der Himmel über dem Meer war rot und grau. Eine Farbmischung, die es nur im November gibt. Winter betrachtete den Horizont, die Ahnung, dass es dahinter weiterging, den blauen Dunst. Sehr bald würde er sehen, was sich dort verbarg, in einem Land weit im Süden. Im Augenblick war es ein unwirkliches Gefühl, als winkte ihm ein anderes Leben.
Halders fand einen Parkplatz vor der Haustür.
Die Absperrbänder flatterten im Wind, der um das Wäldchen tobte. Auf dem Hof war keine Menschenseele, kein Kind spielte auf dem Spielplatz. Der Wind blies so heftig, als lägen die Häuser direkt am Strand.
Winter drückte auf die Klingel. Der Ton verhallte. Winter drückte noch einmal.
»Er ist schon lange weg«, sagte Halders.
Mit zwei Fingern öffnete Winter die Klappe über dem Briefeinwurf. Er konnte nur einen Teil der Fußmatte sehen. Darauf lagen ein Stapel Zeitungen, weiße Umschläge, braune Umschläge.
Halders sah sie auch. »Der Kerl hat die Post nicht abbestellt, bevor er abgehauen ist«, sagte er.
»Vielleicht hatte er auch keine Gelegenheit dazu«, sagte Winter.
»Denkst du, was ich denke, dass du denkst?«,
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