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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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wollen, sagt er.«
    »Und das glaubst du?«
    Winter glaubte es tatsächlich. Noch vor einigen Jahren hätte sein Ehrgeiz ihm die Erkenntnis verbaut. Aber in der letzten Zeit hatte sich sein Ehrgeiz in Grenzen gehalten. Eine Müdigkeit hatte von ihm Besitz ergriffen, die er so noch nie zuvor empfunden hatte. Es war nicht die Familie, nicht die kleinen Kinder. Doch. Natürlich trugen sie ihren Teil dazu bei, aber er selbst war die Ursache, seine Art, sich bei der Arbeit anzutreiben. Nächte mit zu wenig Schlaf. Bis spät in die Nacht über dem Laptop. Nachdenken, wenn es still war.
    »Kannst du wirklich mittendrin aus allem raus, Erik? Früher konntest du das nie. Das hat doch …« Aber sie brach ab.
    »Ich weiß«, sagte er.
    »Was wird also diesmal? Wenn ich unterschreibe und am ersten Dezember in der Klinik anfange, musst du hier sein. Siv schafft es vielleicht ein paar Tage allein mit den Kindern, aber keine ganze Woche.«
    »Mhm.«
    »Das Emphysem wird nicht gerade besser davon.«
    »Sie hat doch aufgehört zu rauchen?«
    »Stell dich nicht so dumm, Erik. Das ist das Problem mit euch Rauchern. Ihr stellt euch dumm. Andererseits wart ihr sowieso ziemlich doof, dass ihr angefangen habt.«
    »Ich werde meine Lungen mit keinem einzigen Zug mehr belasten.«
    »Wie gesagt, ihr stellt euch dümmer, als ihr seid.«
    Er hatte aufgehört. Dann hatte er wieder angefangen. Birgersson hatte aufgehört, und dabei war es geblieben. Winter bewunderte ihn. Birgersson war sein Erwachsenenleben lang Kettenraucher filterloser Zigaretten gewesen und hatte es geschafft aufzuhören, bevor er starb. Aber er hatte nie auf Lunge geraucht. Vielleicht fiel es ihm daher jetzt leichter.
    »Du bist doch mit dem Mord an dieser Frau beschäftigt«, fuhr Angela fort. »Du leitest doch die Ermittlungen? Dann müsste wohl baldmöglichst ein anderer übernehmen?«
    Er hatte ihr natürlich davon erzählt. Sie las täglich Sivs einen Tag alte Göteborgs-Posten. Wer das lange genug tat, dem entging nicht viel. Er hatte selbst einige Erklärungen vor der Presse abgegeben. Er hatte keine Details verraten, den Lesern nicht und auch Angela nicht.
    Sie setzte voraus, dass der Fall nicht gelöst werden würde, bevor er fuhr. September. Oktober. November. Fast drei Monate.
    Plötzlich musste er an Ellen Börge denken. Plötzlich sah er ihr Gesicht vor sich. Achtzehn Jahre. Heute wussten sie nicht mehr als vor achtzehn Jahren. Zweihundertsechzehn Monate. Du bist doch mit dem Mord an dieser Frau beschäftigt, hatte Angela gesagt. Welchem Mord? Welcher Frau? Er konnte nicht loslassen, Ellen Börge nicht loslassen. Wenn er an Paula Ney dachte, erschien vor seinem inneren Auge Ellens Gesicht. Er wusste, dass er sich auch mit dem Mord an Ellen beschäftigte, er hatte es immer getan, und das hatte seine Arbeit erschwert, seinen Einsatz beeinträchtigt. Der Misserfolg. Die Schwere des Misserfolgs. Der Irrtum. Er hatte damals etwas übersehen. Wenn er nur dahinter käme, was es war. Wenn er es nur verstünde, sich erinnern könnte. Bevor er eine Pause machte. Bevor ihm die Sonne ins Gesicht schien.
    »Wir werden ihn lösen«, antwortete er in das kurze Schweigen zwischen der Vasastan in Göteborg und Nueva Andalucía.
    »Bist du so sicher, wie du tust?«
    »Nein. Ja.«
    »Herr im Himmel.«
    »Also, wir machen es wie beschlossen?«
    »Aber was haben wir denn beschlossen, Erik? In vier Tagen komme ich mit den Kindern nach Hause, und dann müssen wir uns entschieden haben. Eigentlich in zwei Tagen. Bis dahin wollen sie meine Entscheidung.«
    »Wir haben uns schon entschieden«, antwortete er.
    Die Sonne ging schneller unter denn je. Er merkte, dass ihn fror. Sein Jackett lag oben im Zimmer. Vor wenigen Stunden waren es noch fast zwanzig Grad gewesen, aber in der Dämmerung wurde es wieder herbstlich. September.
    Er überquerte den Drottningtorget. Eine Zeitung vom Tag oder vom Vortag wehte vorbei in Richtung Kanal. Er erkannte ein B und ein S in der Überschrift, die aber nicht zu entziffern war. Die Zeitung flatterte weiter, als hätte sie eine Verabredung mit einem Leser.
    Er betrat den Hauptbahnhof. Aus den Lautsprechern schepperte eine Ansage, die unmöglich zu verstehen war. Es scheint eine Schulung für Leute zu geben, die über Lautsprecher reden sollen, dachte er, eine Undeutlichkeitsschulung. Busfahrer, Straßenbahnfahrer, Ausrufer auf den Bahnhöfen. Eine Schulung, bei der die Aussprache so fein abgeschliffen wird, bis nichts mehr zu verstehen ist, eine Strafe

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