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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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für die Allgemeinheit.
    Er bog nach links ab und spürte den Erguss im Knöchel. Dort hatte er einen dicken blauen Fleck. Er hinkte leicht.
    Halders hatte sich heute Nachmittag beim Fußballspielen auf ihn geworfen. Fußball war das Körpertraining passend zur Jahreszeit. Und Halders konnte nicht vergessen. Es war einen Monat her, dass Winter vor dem Eingang des Dezernats Halders kaum merklich berührt hatte, aber Halders war nachtragend. Er hatte Winter mit den Stollen gestempelt und danach so unschuldig dreingeschaut wie ein italienischer Verteidiger. Wie hieß der noch, der Knochenbrecher der italienischen Nationalmannschaft … Gentile. Claudio Gentile, der Mann, der Invalide um Invalide auf dem Rasen zurückließ. Mit Unschuldsmiene, und wenn der Verstoß noch so schrecklich gewesen war. Ein passender Name, der Feine, der Großzügige. Ja, Gentile aaste wie Halders mit seinem Können. Halders aaste mit seinem Charme, ein ausgesprochen feiner Mann in allen Lebenslagen.
    »Hast du dir den Fuß verknackst?«, hatte er gefragt.
    Winter hatte sich erhoben, aber den Fuß nicht richtig aufsetzen können. Ringmar hatte den Kopf geschüttelt.
    »Sind wir jetzt quitt?«, hatte Winter gefragt.
    »Ich weiß nicht, wovon du redest«, hatte Halders gesagt.
    Winter dachte an Halders’ ausdruckslose Miene, als er an den Schließfächern vorbeiging. Würde er mit ihm in Zukunft zusammenarbeiten können? Kannte Halders diesen Ausdruck überhaupt, Zusammenarbeit?
    Er musste einer Großfamilie ausweichen, die aus der Halle mit den Schließfächern kam, Rucksäcke auf dem Rücken, die über ihre Köpfe hinausragten. Alle trugen die gleiche Kleidung, hatten das gleiche Gesicht. Wieder schepperte der Lautsprecher, und die Familie setzte sich in Trab. Der Zug rollte an, nach Kiruna, Konstantinopel, Krakau.
    Vielleicht war Ellen Börge auch unterwegs. Oder sie war überhaupt nicht mehr unterwegs.
    Er betrat den Informationsschalter, den kleinsten Raum des Bahnhofs, abgeteilt für Tausende von Menschen, die Reiseinformationen benötigten. Vielleicht steckte eine Logik dahinter, aber Winter hatte sie nicht durchschaut. Er hatte selber schon stundenlang Schlange gestanden, um eine Information zu bekommen, die er brauchte, um sich in die nächste Schlange einzureihen und die Fahrkarte für seine geplante Reise zu kaufen. Italien pur. Korporativfaschismus. Und er beschloss, sich so bald wie möglich einen Mercedes anzuschaffen, damit er nie wieder Schlange stehen musste.
    Er ging direkt zum Tresen vor, verfolgt von den wütenden Blicken der in der Schlange Wartenden.
    »Wir stehen hier an«, sagte jemand.
    Wie schön für Sie, das sagte er nicht. Das hätte nur Halders sagen können.
    Die Frau hinter dem Tresen erkannte ihn und nickte. Sie zeigte mit der Hand, in der sie einen Stadtplan hielt, auf die Tür hinter sich. Ihr gegenüber wartete ein Mann mit einer schwarzen Brille und Lederweste. Er murmelte etwas, das Winter nicht verstand.
    Hinter der Tür saß eine andere Frau über einen Schreibtisch voller Papiere gebeugt. Sie schaute auf, als er hereinkam. An der Wand hinter ihr hing eine Pinnwand voller Zettel. Sie waren in mehreren Schichten festgesteckt. Auch hierin mochte sich eine Logik verbergen. Der Raum war klein und fensterlos.
    Winter stellte sich vor und zeigte seinen Ausweis. Die Frau mochte zehn Jahre älter sein als er. Sie warf einen Blick auf seinen Ausweis und sah Winter dann mit einem Gesichtsausdruck an, als bezweifele sie die Echtheit. Die Reaktion war ihm nicht neu. Er wirkte zu jung. Das Problem würde sich mit der Zeit von selbst erledigen.
    »Bitte, setzen Sie sich«, forderte ihn die Frau auf.
    Winter versuchte, sich auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch zu setzen, aber es war nicht genügend Platz. Sein ganzer Fuß schmerzte. Es pochte noch heftiger darin, wenn er saß.
    »Danke, ich stehe lieber.«
    »Geht es um einen Reisenden?«, fragte die Frau.
    Winter zog ein Foto aus der Brusttasche und reichte es ihr.
    Sie schaute Ellen Börge ins Gesicht, wie sie eben Winter gemustert hatte. Dann blickte sie wieder auf.
    »Und Sie meinen, wir müssten sie wieder erkennen?« Noch einmal studierte sie Ellens Gesicht. »Sie sieht aus wie viele andere.«
    Winter schwieg. Er ließ sie das Foto weiter fixieren.
    »Ich erkenne sie jedenfalls nicht. Soll sie hier bei uns gewesen sein?«
    Das wusste er natürlich nicht, er wusste gar nichts. Das Einzige, was er wissen wollte, war, ob Ellen Börge sich auf dem Bahnhof aufgehalten

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