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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Schreibtisch.
    »Du hast ja alle Verrückten von vor achtzehn Jahren.«
    »Du lässt offenbar nicht locker«, sagte Birgersson.
    »Leihst du mir den mal?«, fragte Winter.
    Kaum hatte Winter Birgerssons Büro verlassen, fiel ihm ein, dass er vergessen hatte, die Dienstbefreiung anzusprechen. Er kehrte auf halbem Weg um und ging zurück. Die Tür zu Birgerssons Zimmer stand noch halb offen, wie er sie zurückgelassen hatte. Er sah Birgersson am Fenster stehen, dem Zimmer den Rücken zugekehrt. Winter klopfte an die Tür und trat ein. Birgersson drehte sich hastig um, als hätte ihm jemand einen kräftigen Klaps auf den Rücken versetzt. Sein Gesicht war das eines anderen. Da war etwas, das Winter noch nie gesehen hatte. Es waren Tränen im Gesicht des älteren Mannes. Winter spürte, dass er ungebeten in Birgerssons Privatsphäre eingedrungen war.
    »Was zum Teufel willst du denn schon wieder?«
    »Entschuldige, Sture«, sagte Winter, »ich bin’s noch mal.«
    »Komm rein zum Teufel, und mach die Tür hinter dir zu.«
    Birgersson zog ein Taschentuch aus der Hosentasche, putzte sich die Nase und zeigte mit der anderen Hand auf den Besucherstuhl am Schreibtisch. »Mist, ich hab offenbar Heuschnupfen im September«, sagte er und ließ sich schwer auf den Stuhl gegenüber fallen. »Mir tränen die Augen.«
    Vielleicht macht er sich selbst was vor, dachte Winter. »Ist was passiert?«
    »Passiert? Was denn?«
    »Du hast den Schnupfen ein für alle Mal weggeraucht, Sture. Irgendwas ist doch. Du brauchst nicht darüber zu reden. Aber ich kann nicht so tun, als ob nichts wäre. Dafür bin ich zu alt. Und du bist auch zu alt dafür.«
    »Du bist nicht alt, Erik, noch nicht.«
    Winter antwortete nicht.
    »Ich bin alt«, sagte Birgersson. »Dies ist der letzte Herbst. Was dann wird, weiß der Teufel. Daran musste ich denken, als ich an diesem verdammten Fenster stand. Als du reinkamst. Plötzlich kamen mir die Tränen. Geplant war das nicht.« Birgersson versuchte zu lächeln. »Das hat mit dem Alter zu tun. Wenn man alt wird, kann man seine Körperflüssigkeiten nicht mehr kontrollieren. Ich darf mich nie mehr allzu weit von einem Urinal entfernen. Oder einem Taschentuch, wie es scheint.«
    »Hast du’s schon mal mit einem Katheter versucht?«, fragte Winter.
    »Lass mich erst mal in Pension gehen.«
    »Haben wir jemals über was anderes geredet als den Job?«
    »Warum fragst du das?«
    »Weil es wichtig ist.«
    »Für wen?«
    »Für uns beide, glaube ich.«
    »Ich glaub nicht an so was.« Birgerssons Blick schweifte ab. Winter konnte immer noch Tränenspuren in seinen Augen sehen. Er wusste auch, dass Birgersson ein einsamer Mensch war. Er weigerte sich zu glauben, das ganze Leben seines Chefs spiele sich hier ab, hier in diesem geschlossenen Büro, aber manchmal wirkte es so. Birgersson sprach nie von dem anderen Leben. Niemand wusste, wie er lebte. Er lud nie jemanden ein. Vielleicht musste er jetzt einen Preis dafür zahlen, hier, am Fenster, in diesem letzten Herbst.
    »Ich kenne einen hübschen Ort mit guter Beleuchtung«, sagte Winter. »Komm mit.«
    »Was wollen wir dort machen? Zusammen weinen? Das geht nicht, jedenfalls nicht bei guter Beleuchtung.«
    »Wir können ein bisschen reden.«
    »Ich glaub nicht an so was, das hab ich doch gesagt.«
    Ihre Zeit ist vorbei, dachte Winter. Die Zeit jener, die nicht »an so was« glaubten. Die Zeit der Männer, die schwiegen wie ein Grab. »Mach es wie ich«, sagte er.
    »Was?«
    »Nimm dir frei. Übergib an einen anderen.«
    »Was redest du da? Soll ich ein halbes Jahr vor meiner Pensionierung um Dienstbefreiung bitten?« Birgersson lachte tatsächlich. »Und so ein Vorschlag kommt ausgerechnet von dir?! Kommissar Winter predigt Dienstbefreiung. Und das schon zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit.« Birgersson stand mit einem Ruck auf, als wäre er verletzlicher, wenn er saß, verletzlich durch Worte. »Außerdem ist hier noch niemals eine Dienstbefreiung bewilligt worden, soweit ich weiß.«
    »Es sind noch drei Monate bis dahin«, sagte Winter.
    »Was werden die anderen sagen? Das ist gegen alle ungeschriebenen Regeln.«
    »Ich begnüge mich mit den geschriebenen, Sture.« Winter dachte an die anderen, an Ringmar, Halders, Bergenhem, Aneta Djanali, Möllerström, all die anderen Kollegen über und unter ihm. Sie würden mit gemischten Gefühlen reagieren.
    »Außerdem hast du einen Fall, um den du dich kümmern musst. Wenn wir den nicht lösen, werden vielleicht alle

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