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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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sehen, in der sie lebte. Und erkennen, wie hügelig es war. Die Hügel, Anhöhen, Kuppen. Und wie viel Wasser es rundherum gab, nicht nur im Westen, wo das Meer war. Gerade versank die Sonne im Meer. Es war ein klarer Tag gewesen, deswegen war es sonderbar, dass der Wind plötzlich zugenommen hatte. Vielleicht würde das Wetter umschlagen. Sie schaute wieder hinauf in den leeren Himmel, aber dort war nichts anderes zu sehen als tiefes Blau. Von dort oben drohte nichts weiter.
    Als sie sich der Haustür näherte, spürte sie wieder den Wind im Nacken, drehte sich um, beobachtete, wie sich die Baumkronen über der Garagenanlage wiegten, fast wie in einem schwachen Rhythmus, einem Rhythmus, den man spürt, bevor man ihn hört. Das dachte sie jedenfalls bei dem Anblick.
    Als sie sich wieder zur Tür umdrehte, nahm sie am Rande ihres Gesichtsfeldes eine Bewegung wahr. Was war das? Sie folgte der Bewegung mit dem Blick, aber da war nichts. Und doch hatte sie etwas bemerkt, etwas Schwarzes oder Braunes, wie ein Zucken. Aber was kümmerte sie das eigentlich?
    Weil es etwas Neues war.
    Wenn man etwas zum ersten Mal sieht, reagiert man unwillkürlich darauf, dachte sie. Aber man muss sich nicht drum kümmern.
    Trotzdem …
    Da!
    Ein blitzschnelles Huschen zwischen Baum und Fahrradständer. Aber das ist nicht möglich. Geh einfach ins Haus.
    Es begann schon zu dämmern. Vielleicht war es nur der Schatten eines Vogels. Sie schaute wieder zum Himmel hinauf. Dort waren keine Vögel. Jetzt war der Himmel noch blauer, fast schwarz. Sie nahm den Geruch nach Herbst um sich herum wahr, einen Duft, der weicher war als Gerüche sonst. Ein Gemisch aus verschiedenen Gerüchen.
    Jetzt roch sie Tabak.
    Wieder diese Bewegung!
    Hinter dem Baum!
    Angst überwältigte sie, schnürte ihr die Luft ab. Plötzlich fiel ihr das Atmen schwer. Sie wollte nicht hinschauen, nach rechts. Ich werde nicht laufen. Ich gehe, so schnell ich kann. Laufen ist nicht gut. Gut für wen? Hab ich Angst, mich zu blamieren? Sie hörte ihre Schuhe auf dem Kies knirschen. Die Haustür war fünf, sieben Meter entfernt. Herr im Himmel, ich will hören, wie sie hinter mir zuschlägt. Für immer zuschlägt. Sie dachte nicht mehr daran, ob sie atmete. Sie wollte schreien. Da war niemand, dem sie etwas zurufen könnte. Das Haus wirkte leer, verlassen. Die Fenster waren schwarz. Warum brennt noch nirgendwo Licht? Sie griff nach der derben Türklinke, aber ebenso gut hätte sie versuchen können, einen Felsbrocken zu bewegen. Die Treppe drinnen war schwarz wie Stein. Der Code, wie war noch der Code? Ich habe ihn vergessen! Fünf … eins … nein! Fünf … fünf … Sie sah sich selbst in dem langen, schmalen Türglas, das Gesicht wie ein hellerer Schatten vor dem Schwarz. Fünf … sieben … dr… Da war ein Schatten hinter ihr! Wieder dieser Luftzug. Das Herz in ihrer Brust gebärdete sich plötzlich wie ein wildes Tier, es tobte und zerrte, als wollte es sich befreien. Ich drehe mich nicht um. Dreh dich nicht um! Sie drückte auf die Knöpfe, drückte, drückte, drückte, fünf-acht-acht-fünf!

9
    Wir werden uns wiedersehen. Winter las die Worte zum hundertsten Mal. Wir werden uns wiedersehen. Er bemerkte das Beben der Hand, die die Worte geschrieben hatte, jetzt, nachdem die Spurensuche bestätigt hatte, dass es da war.
    Wir werden uns wiedersehen.
    Er blickte hinüber zur Hand, die auf dem Tisch lag, dem Abguss der Hand, die diese Botschaft sozusagen aus der Hölle geschrieben hatte. Vielleicht hatte man keine Wahl. Paula hatte wohl auch keine Wahl gehabt.
    »Vor einer Weile ist ein Vogel am Fenster vorbeigeflogen, und ich werde bald sein wie der Vogel. Denkt an mich, wenn ihr einen Vogel seht, irgendeinen. Ich denke an euch, jetzt und für immer.«
    »Das treibt einem ja die Tränen in die Augen.« Ringmar schaute von dem Brief auf, den er in der Hand hielt.
    »Lass ihnen freien Lauf.«
    »Ich versuche es, ich versuche es wirklich.«
    »Ihre letzten Worte«, sagte Winter.
    »Hat sie geschrieben, was sie wollte?«, fragte Ringmar.
    Winter antwortete nicht. Er hatte gerade einen Vogel am Fenster vorbeifliegen sehen. Irgendeinen. Er kannte sich mit Vögeln nicht aus.
    »Erik? Was meinst du? Sind das ihre eigenen Worte?«
    »Wer kann das wissen? Nur sie selbst und der Mörder.«
    »Der Vogel. Ist er ein Symbol?«
    »Wenn es so wäre, haben es die Eltern jedenfalls nicht erkannt«, sagte Winter.
    »Und du?«
    »Flucht«, sagte Winter, »Flucht, Freiheit.«
    »Außer

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