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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ake Edwardson
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Reichweite«, sagte Ringmar. »Für sie war das außer Reichweite.«
    »Vielleicht nicht.«
    »Wie meinst du das?«
    »Sie würde wie ein Vogel werden, hat sie geschrieben.«
    Winter schaute vom Schreibtisch auf. »Es sollte ihre Flucht werden, in die Freiheit.«
    »Sie hat sich nicht freiwillig entschieden«, sagte Ringmar.
    Winter schwieg. Er blickte aus dem Fenster, aber es flogen keine Vögel mehr vorbei. Draußen war ein grauer Tag, leichter Regen fiel, der Herbst hatte wirklich begonnen.
    »Sie hat sich nicht freiwillig entschieden, in diesem verdammten Zimmer zu sitzen und über Freiheit zu schreiben. Und Liebe. Das war nicht ihre Entscheidung.«
    »Vielleicht doch«, meinte Winter.
    »Mit der Schlinge um den Hals? Hatte sie eine Wahl?«
    »Anfangs vielleicht nicht«, sagte Winter, »aber allmählich war sie überzeugt.«
    »Genauso überzeugt wie der Mörder?«
    Winter antwortete nicht. Es war ein furchtbarer Gedanke. Damit beschäftigte er sich, mit furchtbaren Gedanken.
    »Hat er sie überzeugt, dass sie sterben musste? Deine Zeit ist vorbei, Paula. Schreib einen Brief, um das zu bestätigen.«
    Winter schwieg noch immer.
    »Sie war genauso überzeugt wie er?«
    »Mach weiter«, sagte Winter.
    »Es ist ihm gelungen, sie zu überzeugen, dass es ihr tot besser gehen würde?«
    »Besser gehen?«, fragte Winter. »Ging es ihr denn schlecht?«
    »Lass uns mal davon ausgehen. Sie war nicht zufrieden mit ihrem Leben. Sie wollte weg. Sie wollte etwas anderes tun. Sie wollte fliehen. Sie wollte eine andere Freiheit. Sie wollte eine andere werden.«
    »Sag das noch mal.«
    »Lass uns mal davon ausg …«
    »Nein, das letzte«, sagte Winter.
    »Sie wollte eine andere werden«, wiederholte Ringmar.
    »Ja. Das ist es. Sie sollte eine andere werden. Er wollte sie zu einer anderen machen.«
    »Mensch, Erik.«
    »Sie wollte fliehen, weg. Er hat ihr geholfen.«
    »Wer ist sie dann geworden?«, fragte Ringmar. »Wer sollte sie dann werden?«
    »Ein Teil von ihm.« Winter wiederholte es: »Ein Teil von ihm.«
    Jetzt sagte Ringmar nichts. Er dachte über Winters Worte nach. Er wusste, dass es zu ihrer Routine gehörte, Wörter konnten viel bedeuten oder gar nichts, und er hoffte, dass diese letzten nichts bedeuteten. Dass Winter sich täuschte. Wenn er Recht hatte, in irgendeiner Weise, dann könnte es bedeuten, dass es gerade erst angefangen hatte.
    »Wer ist er?«, fragte Ringmar. »Ein Prediger? Ein verrückter Prediger? Irgendein verdammter schwarzer Engel? Auferstandener Engel?« Er musste plötzlich niesen, als reagiere er allergisch auf die bloße Erwähnung von Predigern. »Müssen wir raus in die Versammlungen, die Gemeinden?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Was meinst du? Du hast doch damit angefangen!«
    »Ich hab noch nicht richtig über ihn nachgedacht«, sagte Winter. »Ich hab an Paula gedacht.«
    »Aber sie war nicht religiös«, sagte Ringmar. »Jedenfalls nicht, soweit wir wissen. Nicht tief religiös.« Er holte ein Taschentuch hervor und putzte sich die Nase. »Sie hat einige Male mit ihrer Freundin in der Kirche gesessen, aber mehr zur Beruhigung.«
    »Es gibt unterschiedliche Auffassungen«, sagte Winter.
    »Von Religiosität?«
    »Ja. Das muss nichts mit Gott zu tun haben«, sagte Winter.
    »Hat überhaupt etwas mit Gott zu tun?«
    »Was soll das denn nun?«
    »Gibt es Gott?«, fragte Ringmar.
    »Ich glaube, wir sollten was essen gehen«, sagte Winter.
    Am Nachmittag hatte Winter einen Termin bei Birgersson. Der Chef lehnte wie üblich am halb offenen Fenster, durch das schwaches Licht ins Zimmer fiel. Früher hatte Birgersson immer dort gestanden, damit der Rauch zum Fenster hinauszog, fort zum Ullevi-Stadion. Obwohl er mit dem Rauchen aufgehört hatte, stand er weiter am Fenster. Es war eine Art Ersatzhandlung; in der Hand hielt er die Zigarette, die es nicht mehr gab. Er war ein Chef, den es bald nicht mehr geben würde. Ein Jahr, dann würde Winter den Posten übernehmen, dabei hatte Winter ihn bereits übernommen. Nichts würde sich ändern, nur formal. Vermutlich würde Winter nicht in dieses Zimmer ziehen. Auf jeden Fall musste Birgerssons Zigarettenrauch mit Zyankali ausgeräuchert werden, aber auch das würde nichts helfen. Das Gift würde weiter in den Wänden hängen, hier zu sitzen war nicht gesund. Zigaretten waren nicht gesund, genau wie Zigarillos.
    »Du darfst gern rauchen, Erik«, sagte Birgersson am Fenster. »Das weißt du.«
    »Ich hätte ein schlechtes Gefühl, wenn ich in diesem Zimmer

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