Zipfelklatscher
hundert golden schimmernde Renken, eine so groß wie die andere und immer fast genau zweihundert Gramm schwer, die Köpfe mit den geöffneten Mäulern und den erstaunt guckenden Augen nach oben, die ausgefransten Schwanzflossen nach unten. Ich packe die fertigen Fische vorsichtig einen nach dem anderen in einen Alucontainer, wasche mir die Hände mit der Lotusblütenseife vom Edeka und schnappe mir meine zweite Arbeitsuniform, die für den Verkauf: Jeans und T-Shirt. Und meine anderen Gummistiefel – die roten, die nicht schon an die Hose drangebaut sind.
»Uijeggerl, is dir was obrennt?«
Aus dem Nichts taucht die Schöngruber Emerenz vor unserem Schuppen auf, wie immer in dem grauen Kittel mit den fliederfarbenen Streublümchen drin, und mit einem braunen Paket unter dem Arm. Ich halte mir schnell das zusammengenudelte T-Shirt vor die Brust, damit unsere Nachbarin landeinwärts nichts von meiner Unterwäsche sieht, die garantiert nicht nach Berufskleidung aussieht, jedenfalls nicht für das Fischereigewerbe.
»Ach, nur ein paar Semmeln.«
»Ja, weil du auch nicht backen kannst, gell? Das hast von deiner Mama, Gott hab sie selig, denn die hat auch den Zucker nicht vom Salz unterscheiden können! Armes Kind! Nie hat’s bei euch was Gscheits zum Essen gegeben! Der arme Wiggerl [11] übrigens auch, gell, ganz karge Kost hat er gekriegt, auch als Thronfolger, das muss man sich mal vorstellen, so streng war dem sein Bappa, der Maximilian. Und wenn ihm sein Kindermädel, die Liesl, nicht immer was zugesteckt hätte, dann wär er noch mehr …«
Dieser Monolog zum armen König Ludwig könnte stundenlang so weitergehen, weil die Emerenz nämlich im Gegensatz zu mir nie unter Zeitdruck steht. Ich unterbreche sie deshalb einfach.
»Kannst dich mal bitte umdrehen?«
Die Emerenz denkt gar nicht daran, sondern hält mir das Paket unter die Nase. Dabei wird der »König-Ludwig-Gedenkjahr«-Button sichtbar, der auf Busenhöhe auf ihrem Kittel prangt. Das Gedenkjahr ist zwar lange vorbei, aber die Emerenz wird den Anstecker mit dem Konterfeit ihres geliebten Märchenkönigs wahrscheinlich so lange tragen wie unsereins ein Dalai-Lama-Bändchen.
»Hat der Postbot bei mir lassen vorher. Von deiner Schwester! Aber euer Geburtstag ist doch erst, gell? Seid’s jetzt auch keine Zwanzge mehr, ihr Sonnfischerdirnein [12] , gell?«
Statt einer Antwort bedeute ich der neugierigen Königstreuen nochmals mit einer Kopfbewegung, sich umzudrehen. Vergeblich.
»Was bist du denn heut so gschamig? Wir sind doch hier nicht bei die Wittelsbacher! Und ich hab schon auf dich aufpasst, da hast du noch gar nicht reden können!«
Ich weiß. Ein einziges Mal. Trotzdem tut die Emerenz ganz gerne, als wäre sie meine Leihoma gewesen. Dabei hatte die Mama nur einmal keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als sich unter Krämpfen zur kinderlosen Emerenz zu schleppen, um ihr für einen Nachmittag lang eine quietschfidele Kati zu überlassen. Ob ein besonders fieser Magen-Darm-Virus oder Mamas berühmt-berüchtigte Kuttelsuppe hinter der plötzlichen Bettlägrigkeit meiner Familie gesteckt hatte, konnte nie ganz geklärt werden. Nur ich hatte schon als Baby einen solchen Saumagen, dass man mich notgedrungen zur Nachbarin gegeben hatte, während sich meine Eltern und meine Zwillingsschwester die Bäuche hielten.
»Da batzlt’s dir die Augen raus, gell?«
Mich kann die Emerenzdamit nicht meinen, denn ich habe gerade den Kopf im T-Shirt. Gar nicht so einfach, meinen cremefarbenen Spitzenstring dabei vor ihren neugierigen Blicken zu verbergen. Aber meine Nachbarin fixiert etwas hinter mir, und als ich ihrem Blick folge, bewegt sich etwas über der Hortensienhecke, etwas Gelbes. Ein Feuerwehrhelm.
»Michi! Wie lange stehst du da schon?«
Während ich mich der Emerenz gegenüber vornerum so schön bedeckt gehalten habe, hatte der Michi die ganze Zeit wahrscheinlich eine Spitzenaussicht auf meine Dessous-geschmückte Kehrseite.
»Geh her da, du Spanner!«
Man kann über die Emerenz sagen, was man will, aber manchmal bringt sie die Sache richtig gut auf den Punkt. Der Michi kommt deshalb auch recht schnell aus der Hecke heraus und meint eilig und in wichtigem Feuerwehr-Hochdeutsch: »Ich habe nur einen verdächtigen Brandgeruch bemerkt, und weil ich ja praktisch immer noch im Einsatz bin, wollte ich einmal nach dem Rechten geschaut haben!«
Er schaut tatsächlich, und zwar mich mit einem Blick an, mit dem er mich in den vielen Jahren gemeinsamen
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