Zipfelklatscher
Insellebens noch nie bedacht hat, und ich muss irgendwie verschämt die Augen senken. Das ärgert mich, schließlich haben wir als Kinder schon zusammen nackt im See gebadet. Als mein Blick schon quasi am Boden klebt, fällt mir etwas auf: Der Michi hat seine Feuerwehrstiefel gegen bequemeres Freizeitschuhwerk eingetauscht, und deshalb steht er jetzt in Adiletten da. Das allein ist kein Beinbruch, denn die Insel ist kein Catwalk und wird auch nie einer sein. Aber was sich da unter dem blau-weißen Plastikriemen am vorderen Schuhrand festkrallt, damit würde es der Michi wahrscheinlich ins Haus der Natur in Salzburg schaffen. Denn offensichtlich haben sich seine Zehen in den letzten Jahren zu selbstständigen Lebewesen entwickelt: lang wie Finger, dünn am Ansatz, an den Nägeln dick und knubbelig wie Froschfinger. Eigentlich sieht diese Barbapapa-Familie noch ganz lustig aus. Wenn da nicht diese gelblichen Nägel wären, so lang, dass man sie wahrscheinlich nur noch mit dem Seitenschneider kürzen kann. Seit Michis pensionierte Eltern zum Geldzählen nach Marquartstein gezogen sind, ist bei ihm offensichtlich der Hygienenotstand ausgebrochen. Ich schaue schnell woanders hin. Schade, dass der Michi sich zu so einem dicklichen kleinen Angeber entwickelt hat. Er ist Zumsler und der Sohn vom Baunternehmer Katzlberger, Aus- und Umbau, und ich Amslerin und Sonnfischertochter, was im Inseluniversum eigentlich das Leben auf zwei verschiedenen Kontinenten bedeutet. Aber wir wurden trotzdem Freunde: In der 3b versteckten wir der Lehrerin nämlich gemeinsam einen Fisch unter dem Pult, weil sie uns über die Weihnachtsferien mit einem Aufsatz zum Thema »Reif für die Insel« quälen wollte. Wir konnten das glitschige Tier natürlich nicht festkleben, also tackerten wir es sorgfältig unten an der Tischplatte fest, von mir kam der Fisch und die Idee, und vom Michi der Tacker und die nötige kriminelle Energie. Und im neuen Jahr stank der Fisch natürlich zum Himmel, weil damals Energiesparen noch nicht so ein Riesending war und die Heizung im Klassenzimmer über die Feiertage einfach volles Rohr weitergelaufen war. Als der Rektor mich als Fischerstochter als Erstes verdächtigte, nahm der Michi am nächsten Tag netterweise alle Schuld auf sich, obwohl er zu einem Vormittag Eckerlstehen verdonnert wurde. Das war schon ziemlich ritterlich, fand ich. Zum Dank lud ich ihn nach der Schule in unser Sonnfischerhaus ein und er durfte den Essiggurken-Hackfleisch-Auflauf von der Mama probieren, und auch diese schwere Prüfung bestand er nonchalant. Eigentlich verbindet uns seitdem so etwas wie Freundschaft. Obwohl, was uns verbindet, seit ich von meinem Ausflug an die Uni wieder zurück bin, weiß ich nicht so genau. Die Emerenz offensichtlich umso besser.
»Noch ist die Kati nicht dein Gspusi [13] , oder?«, faucht sie den Michi an. Und als der sie nur erschrocken anstarrt, sagt sie triumphierend: »Na also. Wenn, dann wüsst ich das nämlich.«
Dessen bin ich mir ganz sicher.
»Unsere Katharina, die ist nämlich eine Anständige!«, hebt die Emerenz weiter zu einer feurigen Rede an. »Die ist nämlich nicht so ein Flitscherl [14] wie ihre, ihre …«
Jetzt ist sie die, die erschrocken schaut, weil sie spannt, dass sie sich beinahe mächtig vergaloppiert hätte.
»Wie meine Schwester? Sag’s nur, Emerenz, die Fränzi ist nicht da, und wenn, dann würde es ihr nichts ausmachen. Die lässt sich vom Inseltratsch schon lange nicht mehr aus der Ruhe bringen.«
»Ich wollt ja nur sagen, dass du eine Grundanständige bist, eine, die bei ihrem alten Bappa geblieben ist! Eine Fleißige halt, gell? Früh ins Bett, früh auf, gell? Da is nix mit Umeinanderpoussieren! Unsere Kati, die ist halt kein Discohaserl, beim Wiggerl sein Bart!«, rudert die Emerenz jetzt herum.
Ich nicke zu dieser ungewohnten Bauchpinselei von der Emerenz so grundanständig wie möglich.
»Da hast du jetzt recht, Emerenz. Für so einen Schmarrn hab ich wirklich keine Zeit. Zu viel Arbeit.«
Nils von Böckel ist längst abgereist, und heute Nacht ist schon so lange her, dass ich noch nicht einmal das Gefühl habe, die Unwahrheit zu sagen. Und »zu viel Arbeit« stimmt immer.
»Ist dein Vater wieder da? Soll ich dir was helfen?«, fragt der Michi jetzt, um sich in ein besseres Licht zu rücken, und wendet sich etwas zu spät taktvoll ab.
»Geht schon.« Ich will Michis Angebot erst ausschlagen, überlege es mir aber anders. Bis die Aushilfe kommt, vergeht noch
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